nd-aktuell.de / 02.12.2020 / Politik / Seite 5

Verhinderter Familiennachzug

Der Konflikt um die Provinz Tigray in Äthiopien verschärft auch die Situation eritreischer Flüchtlinge

Marina Mai

»Unsere Familien stecken im Kriegsgebiet fest«, steht auf einem Plakat, das eritreische Flüchtlinge vor dem Auswärtigen Amt in Berlin in die Höhe halten. Sie halten bei winterlichen Temperaturen zwei Tage und zwei Nächte lang eine Dauermahnwache ab. Bereits zweimal in diesem Jahr hatte die Initiative eritreischer Flüchtlinge »Familiennachzug jetzt«, in der sich 1100 der rund 40 000 Eritreer in Deutschland organisieren, durch das Berliner Regierungsviertel für das Recht auf Familiennachzug demonstriert.

Zumeist sind es Männer, die es bis nach Deutschland geschafft, hier Asyl erhalten und danach einen Antrag auf Familienzusammenführung gestellt haben. Ihre Frauen und Kinder harren in afrikanischen Nachbarstaaten Eritreas aus, zumeist in Äthiopien, Sudan, Kenia und Uganda. Den gefahrvollen Weg über das Mittelmeer wollen sie sich nicht zumuten. Der Rechtsanspruch auf Familiennachzug wird von den deutschen Auslandsvertretungen über Jahre hinausgezögert. Meist genügen den deutschen Diplomaten die vorhandenen Dokumente nicht zum Nachweis der Familienbindung. Das liegt daran, dass in Eritrea Ehen und Geburten meist nur kirchlich beurkundet werden und deutsche Diplomaten laut Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken nicht qualifiziert sind, diese kirchlichen Dokumente auf Echtheit zu prüfen.

Nun ist die ohnehin prekäre Lage vieler Frauen und Kinder durch den Bürgerkrieg in Äthiopien zusätzlich verschärft worden. Denn für die allermeisten eritreischen Frauen und Kinder ist gerade die an Eritrea angrenzende Bürgerkriegsprovinz Tigray Zufluchtsort. Sie sind dort jetzt besonders gefährdet.

Esak K. aus Berlin ist einer, der auf den Nachzug seiner Frau und seiner drei Kinder wartet. Der jüngste, heute fünfjährige Sohn wurde geboren, als Esak K. bereits in Libyen war. Die Familie lebt in der äthiopischen Provinz Tigray in einem Flüchtlingslager und Esak K. hat seit Wochen keinen Kontakt zu ihnen. »Ich bete, dass das Camp nur vom Telefonnetz abgeschnitten wurde«, sagt der Mann, Anfang 30, dem »nd«. »Es kann aber auch sein, dass meine Familie aus Äthiopien vertrieben wurde.« Wenn sie Glück hat, in den Sudan, wenn sie Pech hatte, musste sie zurück nach Eritrea. »Und dort erwartet sie unmenschliche Haft in unterirdischen Verliesen und Folter«, sagt der Mann, der weiß, wovon er spricht. Denn er wurde als Wehrpflichtiger auch gefoltert.

Die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl und die Landesflüchtlingsräte unterstützen die Forderung der Eritreer. »Wir fordern, die inhumane Visapraxis in den deutschen Auslandsvertretungen umgehend zu ändern und sicherzustellen, dass die auf den Familiennachzug wartenden Angehörigen eritreischer Flüchtlinge zügig einreisen können,« heißt es in einer Erklärung. »Dazu müssen die Verfahren entbürokratisiert und beschleunigt und alternative Nachweise für Identität und Familienbindung anerkannt werden.« Die Bundesregierung allerdings sieht offenbar keinen Handlungsbedarf. Auf eine Frage der Abgeordneten Ulla Jelpke (Linke) antwortete sie, nichts an den Anforderungen zum Familiennachzug aus Eritrea ändern zu wollen. Sie fühlt sich in ihrer Position durch ein Urteil des Verwaltungsgerichtes Hannover bestätigt.

Viele Eritreer in Deutschland sorgen sich wegen des äthiopischen Bürgerkrieges um ihre Familien, egal, ob diese noch in Eritrea oder in Äthiopien leben. Die Diktatur in Eritrea unterstützt die äthiopische Zentralregierung gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen der Provinz Tigray. Eritreische Berliner wie Freweney Habtemariam von dem in Berlin ansässigen Verein Eridac e. V. berichten, dass eritreische Wehrpflichtige die äthiopische Zentralregierung bei ihrem Einmarsch in die Provinz Tigray als Kanonenfutter unterstützen mussten und dass eritreische Flüchtlinge aus Tigray zurück nach Eritrea entführt wurden. Bestätigt ist das nicht. Bestätigt sind aber mehrere Geschosseinschläge in Eritrea.