nd-aktuell.de / 05.12.2020 / Kultur / Seite 45

Die ewig rote Socke Lenin

Es ist kalt geworden in Deutschland. Wie aufmerksam von der Kabarettistengruppe »Fettnäppchen«, dem Führer der Bolschewiki eine - rote - Socke zu stricken! Was gewiss nicht nur aus Mitleid mit dem russischen Revolutionär und Theoretiker geschah, der Kälte eh gewohnt war, sondern wohl auch aus Trotz wider dessen Vergessen und Verleugnen hierzulande. Nicht nur Georg Wilhelm Friedrich Hegel und der vormalige Junghegelianer Friedrich Engels hatten in diesem Jahr einen runden Geburtstag, den 250. respektive 200. Nicht in gleicher Weise gedacht wurde des 150. von Lenin, geboren als Wladimir Iljitsch Uljanow am 22. April 1870 in Simbirsk, gestorben am 21. Januar 1924 in Gorki bei Moskau. Eine gewisse Gutmachung und ein würdiges Geschenk für jenen ist der hier anzuzeigende Bild-Text-Band, der erhaltene Büsten, Denkmäler, Fresken, Reliefs, Mosaike, Glasmalereien und Wandbilder in ostdeutschen Städten zu Lenins Ehren vorstellt. Einziges Erinnerungsmal für ihn in Westdeutschland ist eine Gedenktafel in München, wo Lenin 1901 wohnte, in der Kaiserstraße Nr. 46. Das Haus gehörte dem Sozialdemokraten Georg Rittmayer, der auch ein Gasthaus »Zum goldenen Onkel« betrieb, ein beliebter Treffpunkt der deutschen Genossen.

Der Lenin mit der roten Socke, geschaffen von Gerhard Thieme 1971, befindet sich im Hinterhof einer Gaststätte am Mohrenplatz 5 in Gera. »Lenin ist ganz in Gedanken versunken. Er hat die Beine übereinandergeschlagen und den Oberkörper nach vorne gebeugt, sein Kopf ist leicht nach rechts geneigt und die Augenbrauen sind zusammengezogen. Hier, auf einem Granitblock im Garten des historischen Hofguts Untermhaus in Gera, wird nicht der Held der Oktoberrevolution oder der charismatische Begründer der Sowjetunion dargestellt, sondern ein besinnlicher Mensch, ein Denker«, schreibt Herausgeber Carlos Gomes. Der Portugiese ist bei einem Spaziergang 2014 durch Wünsdorf, ehemaliges Hauptquartier der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland, neugierig geworden auf die etwa 100 Erinnerungsmale an Lenin in Ostdeutschland. Natürlich fehlt in seinem Band nicht die legendäre Eislebener Statue, die heute im Foyer des Deutschen Historischen Museums in Berlin steht, und auch nicht das eindrucksvolle Lenin-Denkmal von Nikolai Tomski am einstigen Leninplatz in Berlin, das man schäbig im märkischen Sand verbuddelte, um später den Kopf wieder auszugraben und auszustellen.

Carlos Gomes: Lenin lebt. Seine Denkmäler in Deutschland. Verlag 8. Mai, 120 S., geb., 17,90 €.