nd-aktuell.de / 09.12.2020 / Berlin / Seite 12

Männlicher Hass trifft queere Menschen

Homo- und transphobe Gewalt ist vor allem ein männliches Problem, wie eine Studie zeigt

Isabella Caldart

Eine ausführliche Analyse war längst überfällig: Am Dienstag hat die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Anti᠆diskriminierung den bundesweit ersten Monitoringbericht zu homo- und transfeindlicher Gewalt vorgelegt. Auf 230 Seiten werden dort die Daten des polizeilichen Staatsschutzes zu Hasskriminalität gegen die sexuelle Orientierung und/oder Identität in Berlin aus dem Zeitraum von 2010 bis 2018 ausgewertet. Außerdem wurden 188 Berliner*innen befragt, von denen sich 87 Prozent als weiblich definieren. Schwerpunkt ist die antilesbische Diskriminierung.

Der Bericht kommt zu einem teilweise überraschenden Ergebnis: Nicht nur werden in Berlin mehr Fälle erfasst als in der restlichen Bundesrepublik. Ausgerechnet in den gentrifizierten Bezirken Mitte und Neukölln werden die meisten Übergriffe angezeigt. In Letzterem kommt es in diesem Zusammenhang zudem am häufigsten zu Körperverletzungen. Fast zwei Drittel der trans- und homofeindlichen Taten in der Hauptstadt entfallen auf die Bezirke Mitte, Tempelhof-Schöneberg und Friedrichshain-Kreuzberg.

Auffällig ist, dass in den vergangenen Jahren, vor allem aber seit 2018, die Zahl der Anzeigen deutlich gestiegen ist. Laut Bericht hängt das aber nicht unbedingt mit einer Zunahme an Gewaltdelikten zusammen, sondern mit einem gewachsenen Selbstbewusstsein der Szene und der zunehmenden Bereitschaft, verbale wie physische Übergriffe anzuzeigen. Die eigene Community, aber auch Polizei und Staatsanwaltschaft fördern dieses Verhalten. Dabei spielt die Sozialisation eine große Rolle: Homofeindliche Beleidigungen werden von Frauen*, die zeit ihres Lebens an Sexismus gewöhnt sind, eher hingenommen und ignoriert als von Männern*. Entsprechend sind es in der (binären) polizeilichen Statistik zu 83 Prozent Männer, die Hasskriminalität anzeigen, während man von einer hohen Dunkelziffer bei als Frauen gelesenen Personen ausgehen kann: Unter den 188 für diesen Bericht Befragten gaben 57 Prozent an, in den vergangenen fünf Jahren lesbenfeindliche Gewalt erlebt zu haben.

Die Auswertung zeigt außerdem, dass ein Großteil der Belästigung (67,3 Prozent) im öffentlichen oder halböffentlichen Raum stattfindet, meistens in Form von Beleidigungen, Anspucken oder Bewerfen mit Müll. Oft geschieht dies im Beisein anderer Menschen, die nicht helfend eingreifen. Fast die Hälfte der Übergriffe geschieht in den Abendstunden zwischen 16 und 24 Uhr beim Ausgehen. Dazu passt auch eine weitere Zahl: Rund 70 Prozent der Opfer werden den Angaben zufolge zufällig beziehungsweise spontan ausgewählt, sie kannten die Tatverdächtigen vorher nicht. Von denen sind 91,5 Prozent männlich und viele polizeilich bekannt.

Trotz dieser erschreckenden Zahlen weiß der Bericht auch Positives zu vermelden: Die meisten der befragten lesbischen und queeren Berliner*innen fühlen sich in ihrer Heimatstadt relativ sicher, wobei sie individuelle »Stadtpläne« haben mit Orten, die sie für sich als potenziell gefährlich einschätzen. Sie bezeichnen Berlin - auch wenn dieses Gefühl in den letzten Jahren nachgelassen hat - als ihren »Zufluchtsort«. Damit sich die Lage verbessert, muss einiges getan werden. Beitragen soll dazu auch der Monitoringbericht. Er soll as Ausmaß des Problems aufzeigen und Druck auf die Verantwortlichen ausüben, sich verstärkt antidiskriminierender Arbeit zu widmen.

Alle zwei Jahre soll der Bericht nun erscheinen. Der Schwerpunkt des Monitoringberichts für das Jahr 2022 steht auch schon fest: Er soll vor allem Gewalt gegen trans- und intergeschlechtliche Menschen analysieren. »Mit dem Monitoringbericht wollen wir die homo- und transphobe Gewalt in Berlin transparenter und genauer abbilden«, sagt Senator Dirk Behrendt (Grüne). »So wollen wir nicht nur ein öffentliches Bewusstsein schaffen, sondern auch Betroffene motivieren, Vorfälle zu melden und zur Anzeige zu bringen. Berlin hat ein sehr gut ausgebautes System aus Verfolgung bei den Strafverfolgungs- und Ermittlungsbehörden sowie Hilfe bei den Fachberatungsstellen.«