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Strukturen offenlegen und Machtverhältnisse durchbrechen

Kunst als Motor des kritischen Denkens: Maria Eichhorn erhält den Käthe-Kollwitz-Preis 2021 der Akademie der Künste in Berlin. Ein Gespräch

  • Inga Dreyer
  • Lesedauer: 6 Min.

Im kommenden Jahr wird Ihnen der Käthe-Kollwitz-Preis der Akademie der Künste verliehen. Was bedeutet die berühmte Grafikerin, Malerin und Bildhauerin Ihnen?

Käthe Kollwitz habe ich schon als Studentin für ihr politisches und gesellschaftliches Engagement als Pazifistin und Sozialistin bewundert. Ihre Plakate - beispielsweise »Nieder mit dem Abtreibungsparagrafen!« oder »Nie wieder Krieg« - waren sehr wichtig für mich. Als Künstlerin ist sie ein großes Vorbild, weil sie Kunst als Widerstandsform begriff und die Aufgabe der Kunst auch darin sah, soziale Bedingungen darzustellen. Insofern fühle ich mich da im richtigen Kontext.

Maria Eichhorn
erhält den mit 12 000 Euro dotierten Käthe-Kollwitz-Preis 2021 der Akademie der Künste Berlin. Die 1962 in Bamberg geborene Künstlerin hat an der Hochschule der Künste Berlin (heute UdK) studiert und lebt in Berlin. Sie beschäftigt sich in ihrer künstlerischen Arbeit mit Themen wie Kapital, Eigentum und Restitution. Beiträge von Eichhorn waren unter anderem bei der Documenta 11 und der Documenta 14 zu sehen. Mit ihr sprach Inga Dreyer. 

Ihre Arbeiten bewegen sich an der Schnittstelle zwischen Politik, Gesellschaft und Geschichte. Was kann Kunst in diesem Spannungsfeld beitragen?

Ich glaube, dass Kunst auf drängende Fragen hinweisen und Menschen motivieren kann, nachzudenken und kritisch zu sein. Auch Käthe Kollwitz hat künstlerisch in bestimmte politische und gesellschaftliche Zusammenhänge eingegriffen. Sobald sich die bildende Kunst mit sozialen Bewegungen verbindet - das zeigt uns die Geschichte immer wieder -, sind gesellschaftliche Veränderungen möglich, auch im Zusammenspiel mit anderen kulturellen Feldern wie der Literatur, dem Film und dem Theater.

Auch Sie greifen mit Ihren Werken aktiv in gesellschaftspolitische Debatten ein. Anlässlich der documenta 14 haben Sie 2017 das Rose-Valland-Institut gegründet, das die Enteignung jüdischer Menschen durch die Nazis erforscht und dokumentiert. Was hat es bisher bewirkt?

Die Hauptaufgabe des Instituts ist es, Objekte und Gegenstände, die während der NS-Zeit jüdischen Familien weggenommen wurden, zu finden und den rechtmäßigen Eigentümerinnen und Eigentümern zurückzugeben. Das ist uns in einigen Fällen gelungen. Auf der Webseite des Instituts ist eine Ausschreibung veröffentlicht, um Menschen dazu zu bringen, darüber nachzudenken, ob sich im Besitz ihrer Familien Gegenstände befinden, die ihnen nicht gehören. Das ist eine Dauerfrage an die Gesellschaft, die ich stellen will.

Haben Sie das Gefühl, dass inzwischen mehr Menschen darüber nachdenken, wie Kunst- oder Alltagsobjekte in ihren Besitz gekommen sind?

Ja, das glaube ich. Die documenta 14 hat gezielt das Thema aufgegriffen. Mein Projekt war für viele Menschen ein Anstoß zum Nachdenken und Nachforschen. Heute ist in der Gesellschaft mehr Wissen vorhanden, und es zeigt sich eine größere Bereitschaft zur Restituierung geraubter Objekte. Früher wurde eher angenommen, es seien nur Kunstwerke geraubt und Gebäude und Liegenschaften enteignet worden. Der jüdischen Bevölkerung wurde aber alles weggenommen - von Schmuck über Einrichtungsgegenstände bis hin zu literarischen und wissenschaftlichen Arbeiten. Was sich die Deutschen aneigneten, ist noch irgendwo vorhanden. Eigentum löst sich nicht auf, sondern befindet sich nach wie vor in den Händen vieler deutscher Familien. Dieses Bewusstsein sollte wachgehalten werden.

In einem Vortrag haben Sie die Geschichte von Milchkännchen erzählt, die eine Hamburgerin einer Australierin zurückgegeben hat …

Ja, Su Goldfish, eine Filmemacherin aus Sydney, hat uns während der documenta kontaktiert. Sie schrieb, dass sie das Rose-Valland-Institut toll findet und uns eine Geschichte erzählen will, die dazu passt. Su hatte einen Film über ihre jüdische Familiengeschichte gedreht, die ihr lange unbekannt war, weil ihr Vater nichts erzählt hatte. Er wollte einfach alles vergessen. Sus Familie hatte früher ein Hotel in Bad Ems besessen und wurde von den Nazis enteignet. Vor einiger Zeit kaufte eine Hamburgerin auf dem Flohmarkt zwei Milchkännchen mit der Aufschrift »E. Goldfisch, Ems« und recherchierte deren Herkunft. So wurde sie auf den Film von Su Goldfish aufmerksam - nahm Kontakt auf und schickte die Kännchen nach Australien. Ich finde daran bemerkenswert, dass die Frau aus Hamburg so viel Eigeninitiative gezeigt hat. Verantwortung und Initiative müssen nicht immer an Provenienzforscher*innen delegiert werden. Wir können selbst sehr viel herausfinden.

Wie das Rose-Valland-Institut sind auch andere Ihrer Arbeiten langfristig angelegt. Mit dem Produktionsetat der documenta 11 im Jahr 2002 gründeten Sie eine Aktiengesellschaft, die immer noch existiert. Was ist die Idee dahinter?

Die Idee ist, dass die Aktiengesellschaft sich selbst gehört. Alle Aktien wurden an die Gesellschaft übertragen. Es gibt also keine Aktionäre und kein Profitstreben. Außerdem wurde das Grundkapital in Höhe von 50 000 Euro dem Geldkreislauf entzogen, gewissermaßen eingefroren. Es liegt in einem Banksafe in Eindhoven in den Niederlanden, da das dortige Van Abbemuseum die Ausstellungsrechte an der Arbeit erworben hat. Jedes Jahr hält die Maria-Eichhorn-Aktiengesellschaft eine Hauptversammlung ab, es handelt sich um eine ganz normal funktionierende Aktiengesellschaft - und gleichzeitig um ein Kunstwerk, das das Akkumulationsprinzip durchbricht.

Was beschäftigt Sie im Moment?

Das Rose-Valland-Institut nimmt nach wie vor viel Raum ein. Innerhalb des Berliner Förderprogramms Künstlerische Forschung setze ich die Recherche über den Verbleib der Sammlung David Friedmann fort. Parallel arbeite ich an einer Publikation zu einem Projekt in Athen, wo ich eine Liegenschaft erworben habe, die in den Status des Nichteigentums übertragen wird - diese Arbeit habe ich ebenfalls für die documenta 14 entwickelt - und natürlich beschäftigt mich meine neue Ausstellung anlässlich der Käthe-Kollwitz-Preisverleihung im kommenden Jahr. Vor Kurzem habe ich eine neue Plakatwand auf dem Gelände der Uferhallen in Berlin-Wedding gestaltet. Die Ausstellung thematisiert Fragen der Verdrängung und Gentrifizierung, wovon unter anderem sozial Benachteiligte und auch viele Künstlerinnen und Künstler betroffen sind.

Verdrängungsprozesse und kleiner werdende Freiräume sind sicher ein Thema, das Sie als Künstlerin in Berlin beschäftigt?

Ja, natürlich. Künstler*innen werden verdrängt, weil die Mieten plötzlich unverhältnismäßig hoch ansteigen. In den Uferhallen arbeiten über 80 Künstler*innen, mit denen Berlin gern sein Image als Kunst- und Kulturmetropole bewirbt. Sie dürfen Investoreninteressen nicht weichen. Bezirk und Land Berlin müssen den Standort erhalten - zu einem für Künstler*innen bezahlbaren Mietpreis.

Sie haben gesagt, dass Käthe Kollwitz ein Vorbild für Sie war. In der Jury-Begründung der Akademie der Künste heißt es, dass auch Sie einer jüngeren Generation ein Vorbild sind. Finden Sie sich in diesen Worten wieder?

Diese Frage können eigentlich nur die jungen Künstlerinnen und Künstler beantworten (lacht). Wenn ich unterrichte, nehme ich meine eigene künstlerische Arbeit vollkommen zurück. Ich möchte nicht unterrichten, was ich selbst mache, sondern betrachten, was die Studierenden machen und sie dazu bringen, ihre eigene Sprache zu finden.

Was geben Sie Studierenden noch mit auf den Weg? Welche Themen finden Sie wichtig?

Was ich ihnen mit auf den Weg geben könnte, ist bei ihnen selbst schon vorhanden. Ich kann nur aufmerksam zuhören und betrachten, was sie beschäftigt, und ich kann sie durch Beispiele aus Literatur, Kunstgeschichte, Theorie, etc. unterstützen, ihren Weg zu finden. Themen, die ich gesellschaftlich wichtig finde, sind Widerstands- und Protestformen, sozio-ökonomische Fragen, Klimaungerechtigkeit. Greta Thunberg und die globale Klimastreikbewegung beispielsweise sind prägend und zukunftsweisend, was die Effektivität ihres Auftretens und ihrer Aktionen angeht. Wir müssen dafür sorgen, dass die Politik agiert. Es gibt aber auch andere wichtige Aktivist*innen und engagierte Menschen mit Zivilcourage - Whistleblower*innen wie Natalie Edwards oder Künstler*innen wie Nan Goldin, die Strukturen offenlegen und Machtverhältnisse durchbrechen.

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