nd-aktuell.de / 15.12.2020 / Brandenburg / Seite 11

Arbeitsrichter mal hier und mal da

Justizministerium plant Schließung von Gerichtsstandorten, aber mehr Präsenz in der Fläche

Andreas Fritsche

Wenn einige Arbeitsgerichte im Land Brandenburg geschlossen werden, ist das tatsächlich zum Schaden von Beschäftigten, die beispielsweise gegen ihre Kündigung klagen oder gegen eine ihrer Ansicht nach zu geringe tarifliche Eingruppierung? Werden die Wege, um zu ihrem Recht zu kommen, für die Bürger und ihre Rechtsanwälte nicht vielleicht sogar kürzer durch eine Reform, die im Hause von Justizministerin Susanne Hoffmann (CDU) geplant wird? Die Koalition sieht es so. Die Opposition sieht es anders.

Die Standorte in Eberswalde und Potsdam sollen aufgegeben werden und außerdem die Außenstelle in Senftenberg. Übrig bleiben würden die Arbeitsgerichte in Brandenburg/Havel, Cottbus, Frankfurt (Oder) und Neuruppin. Dafür sollen jedoch künftig Arbeitsrichter an bestimmten Gerichtstagen in Justizgebäude nicht allein in Eberswalde, Potsdam und Senftenberg kommen, sondern darüber hinaus auch in Perleberg und Luckenwalde. Die Arbeitsgerichtsbarkeit wäre damit in der Fläche sogar breiter präsent.

Der Plan wurde durchgestochen. Die »Märkische Oderzeitung« hat zuerst darüber berichtet. Ob alles genau so beabsichtigt ist und auch so kommen wird, lässt sich noch nicht sagen. Schließlich soll die Angelegenheit zunächst einmal mit den Richtern besprochen werden. Das geschieht jetzt in dieser Woche. Vorher sollte eigentlich noch gar nichts an die Öffentlichkeit dringen. Horst Fischer, stellvertretender Pressesprecher des Justizministeriums, sagt deshalb nichts dazu. Außer: »Es handelt sich um einen Entwurf, der sich derzeit noch in der Abstimmung befindet. Weitere Auskünfte werden gegenwärtig nicht erteilt.«

Aber da die Sache durch den Zeitungsbericht nun einmal in der Welt ist, haben sich von der Koalition die Landtagsabgeordneten Tina Fischer (SPD), Danny Eichelbaum (CDU) und Benjamin Raschke (Grüne) dazu geäußert und von der Opposition tat es die Abgeordnete Marlen Block (Linke). Raschke ist der Einzige unter ihnen, der nicht Jura studiert hat. Mit der von Justizministerin Hoffmann geplanten Reform werde mehr Bürgernähe geschaffen, sprang Christdemokrat Eichelbaum seiner Parteifreundin bei.

»Der Reformbedarf ist groß und hat sich über Jahre angestaut«, meinte Grünen-Fraktionschef Raschke. »Die nun gefundene Lösung hat große Vorteile: Die Bürgerinnen und Bürger haben in Zukunft durch zusätzliche Gerichtstage kürzere Wege.« Nebenbei werde durch die Aufgabe bisher gemieteter Liegenschaften auch noch Geld gespart.

Sozialdemokratin Fischer ging gedanklich schon einen Schritt weiter. Sie sagte: »Wenn dieses Modell den gewünschten Effekt bringt und die Zufriedenheit erhöht, dann kann dies auf andere Bereiche der öffentlichen Verwaltung übertragen werden.«

Dagegen hielt die der oppositionellen Linksfraktion angehörende Marlen Block der Koalition vor, diese wolle Gerichtsstandorte »ohne Not« aufgeben und die Arbeitsgerichtsbarkeit künftig in nur noch vier Städten konzentrieren. Das sei viel zu wenig für ein Flächenland von der Größe Brandenburgs. »Die Bürgerinnen und Bürger brauchen Vertrauen in die Justiz, und das setzt Nähe voraus. Es entsteht nicht, wenn man für einen Termin am Arbeitsgericht 100 Kilometer weit fahren muss«, argumentierte Block. »Wir lehnen den Rückzug von Gerichten aus der Fläche kategorisch ab und werden unsere Position bei den bevorstehenden Beratungen im Landtag entschieden vertreten.«

Nun ist es aber so, dass in den Jahren 2009 bis 2019 die drei in dieser Zeit nacheinander amtierenden Justizminister Volkmar Schöneburg, Helmuth Markov und Stefan Ludwig (alle Linke) genau in die Richtung gedacht haben wie jetzt Ministerin Hoffmann.

Hintergrund ist die sinkende Zahl der eingehenden Fälle. Im Jahr 2003 waren es an allen brandenburgischen Arbeitsgerichten zusammen 20 128, im Jahr 2018 nur noch 8568. Das führte dazu, dass die Richter zu lediglich 60 bis 70 Prozent ausgelastet waren und Zeit hatten, lukrativ vergütete Vorträge bei Gewerkschaften und Unternehmern zu halten, erinnert sich Ex-Justizminister Schöneburg. Er verfügte 2012 die Herabstufung des Arbeitsgerichts in Senftenberg zu einer Außenstelle und hatte seinerzeit auch schon die Idee, Gerichtstage einzuführen. Sein Nachfolger Markov wollte keine Arbeitsgerichte mit nur ein oder zwei Richtern und hatte bereits überlegt, dass eine Schließung des Standorts Potsdam keine gravierenden Auswirkungen hätte, da Brandenburg/Havel nicht weit entfernt ist. Etwas länger würden die Wege im Falle des Verzichts auf das Gericht in Eberswalde und auf die Außenstelle in Senftenberg werden. Aber auch das wäre zu verkraften, heißt es in einer Präsentation Markovs für die Linksfraktion von Ende 2015. Volkmar Schöneburg war zu dieser Zeit Landtagsabgeordneter und erinnert sich, dass die Linksfraktion die Absicht gebilligt habe. Auch unter Justizminister Ludwig waren diese Pläne nicht vom Tisch, wurden aber vor der Landtagswahl 2019 nicht mehr umgesetzt.

Nachdem bei einer Justizreform 1993 von 43 ehemaligen DDR-Kreisgerichten auf märkischen Territorium 25 als Amtsgerichte übrig geblieben waren, wollte die CDU 2005 mehrere davon schließen. Dies verhinderte Schöneburg. Eine Reform bei den Arbeitsgerichten hielt er aber für angebracht. Darum sagt er jetzt über entsprechende Absichten des Justizressorts: »Eine Frontalablehnung ist aus meiner Sicht nicht gerechtfertigt.« Die Linke sollte hier lediglich darauf achten, dass die Reform nicht zu unzumutbaren Belastungen für das Personal führt, das versetzt wird.

Die Abgeordnete Marlen Block betont jedoch, die Zeit sei heute eine andere. Angesichts einer sich infolge der Corona-Pandemie anbahnenden Wirtschaftskrise könnte die bislang eher überschaubare Zahl von Verfahren rasch ansteigen, wenn Firmen ihr Personal reduzieren und Beschäftigte gegen ihre Kündigung klagen oder sich wenigstens eine höhere Abfindung erstreiten wollen. Block registriert, dass das Vertrauen in den Rechtsstaat nicht zugenommen habe, sondern sich im Gegenteil in einer Krise befinde. In einer solchen Situation sei die Schließung von Gerichtsstandorten falsch. Gegen Gerichtstage in der Fläche sei nichts einzuwenden, wenn es sie zusätzlich gibt. Doch den Richter mit seinem Schreibtisch vor Ort sollten sie nicht ersetzen, sagt Block.

Warum die Zahl der Verfahren so rapide abgenommen hat, lässt sich nur vermuten. Womöglich liegt es daran, dass die Arbeitslosenquote erheblich niedriger ist als vor 20 Jahren. Es gibt weniger betriebsbedingte Kündigungen, und manche Firma behandelt die Belegschaft eventuell etwas besser, wenn niemand Schlange steht, der ein schlechtes Betriebsklima hinnimmt und den Job für weniger Geld machen würde. Es kann auch damit zu tun haben, dass weniger Mitarbeiter in einer Gewerkschaft organisiert sind, die ihnen bei einem Rechtsstreit einen Anwalt stellen würde.