nd-aktuell.de / 23.12.2020 / Ratgeber / Seite 22

Homeschooling mit behindertem Kind

556 000 behinderte Kinder und Jugendliche besuchen Förderschulen - ein Report in Coronazeit

Martina Schwager

Wenn Moritz im Homeschooling seine Aufgaben erledigen soll, springt der Zwölfjährige schon nach wenigen Minuten wieder auf. »Vorgestern hat er den Zettel zerrissen, mir den Stift an den Kopf geworfen und mich beschimpft. Das hat er seit vier Jahren nicht mehr gemacht«, erzählt seine Mutter Angelika Herzog (Namen geändert).

Moritz hat eine umfassende Entwicklungsstörung, ist geistig auf dem Stand eines Kleinkindes. Er besucht die Montessori-Schule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung in Osnabrück. Für ihn fällt in der Corona-Krise nicht nur der Unterricht aus. In der Schule finden sonst auch alle seine Therapien statt. »Er entwickelt sich zurück«, sagt Herzog. Wann ihr Sohn wieder zur Schule gehen darf, weiß sie nicht.

Rund 556 000 behinderte Kinder und Jugendliche in Deutschland besuchen nach Angaben des Verbandes Sonderpädagogik Förderschulen oder inklusive Regelschulen. Für sie und ihre Familien ist es besonders schwer, auf die Schule verzichten zu müssen. »Unsere Schüler brauchen permanente Begleitung und Zuwendung und eine feste Tagesstruktur«, sagt der Leiter der Montessori-Ganztagsschule, Benno Schomaker. Häufig verstünden sie gar nicht, warum die Schule derzeit ausfalle. Seine Schule besuchen 245 Schülerinnen und Schüler vom ersten bis zum zwölften Jahrgang.

Betreuung daheim eine extreme Belastung

Für viele Eltern sei die Betreuung zu Hause eine extreme Belastung. Deshalb habe er seit Beginn der Schulschließung die Notbetreuung nicht nur für Angehörige der systemrelevanten Berufsgruppen geöffnet, erläutert Benno Schomaker. »Wer Not hat, kann sich melden, dann finden wir eine Lösung.«

Einmal hat Angelika Herzog dieses Angebot angenommen. Die alleinerziehende Mutter arbeitet als Qualitätsmanagerin. Moritz' Vater war kurzfristig als Betreuer ausgefallen, und Moritz durfte für einen Tag in die Schule: »Anschließend war er wie ausgewechselt - fröhlich und entspannt«, erzählt Angelika Herzog.

Wenn Moritz zu Hause ist, muss seine Mutter ihm ständig auf den Fersen sein, er ist zappelig, unstet. »Eigentlich braucht er viel Bewegung an der frischen Luft, spielt gerne mit den Nachbarskindern, die ihn schon lange kennen. Das fällt jetzt wegen Corona flach.« Sie versucht, mit ihm rauszugehen, zu kochen, zu malen oder zu spielen. Aber Moritz fängt alle paar Minuten etwas Neues an. »Andere Kinder spielen stundenlang alleine Lego, puzzeln, lesen oder machen Schulaufgaben - mein Sohn kann das nicht«, sagt Angelika Herzog.

Digitales Lernen kaum möglich

Das Lernen auf Distanz und digital funktioniere nur bei wenigen Kindern, sagt Benno Schomaker: »Die Kollegen versuchen dennoch alles, telefonieren, schreiben Briefe, fahren rum und verteilen Arbeitsblätter oder Spiele.« Derzeit bereiten sich die rund 80 Lehrkräfte und 60 pädagogischen Mitarbeiter zudem auf die Wiederaufnahme des Schulbetriebes in unterschiedlichen Formen vor.

Das sei eine äußerst schwierige Aufgabe, sagt Angela Ehlers, Bundesvorsitzende des Verbandes Sonderpädagogik. Viele der Kinder hätten schwere Grunderkrankungen, gehörten demzufolge zur Corona-Risikogruppe. Sie hätten einen besonders hohen Pflegebedarf. Manchen muss das Essen angereicht werden. »Da ist Distanz nicht immer einzuhalten«, sagt Ehlers mit Blick auf die Verhaltensweisen in den Coronazeiten. epd/nd