Mein Leben als Rockstar

Corona Privat

Ach, diese Tristesse in Virus-Zeiten! Darf man überhaupt jammern? Ist doch alles gut so weit, oder? Lauter Lektionen in Demut in diesem 2020: Wie gut Spazierengehen tut! Wie erholsam, wenn nicht jeder Abend der Woche mit irgendwas verplant ist - Hallenfußball, Doppelkopfabend, Fitnessstudio, Elternversammlung. Wie schön auch, dass man offenbar die richtige Frau geheiratet hat: Selbst in Seuchentagen nie einander überdrüssig geworden; im Gegenteil! Hach.

Aber an Abwechslung mangelt’s trotzdem: So viel Quality-Time, so wenig damit anzufangen! Wohin nur mit all der Freizeit?

Gegrübelt und geblättert, gegoogelt und geredet. Wie wär’s, doch noch mal was Neues lernen? Sich in seinen 40ern nun mal der Selbstoptimierung widmen? Einfach so? Ohne praktischen Nutzen? Geht da was?

Beim Joggen (2020 wiederentdeckt!) kommt schließlich unter Kopfhörern der Geistesblitz: Ha! Gitarre spielen, Mann, das wär’s doch! Gitarrrrrrrre! Yeah! Sechs Saiten, die fortan nun auch einem selbst die Welt bedeuten könnten. Keith Richards, Zappa, Angus Young - hold on, I’m coming!

Also nicht lange gefackelt: Vom Freund der großen Tochter die Westerngitarre geborgt, Gitarren-Lern-App heruntergeladen (60 Euro pro Quartal, puh!), ein Plektrum und im Wohnzimmer eine Ecke zum Üben auserkoren. Schon hat es begonnen: mein Rest-Leben als Gitarrist.

Statt zehn oder 20 werden in der App stets 30 Minuten »Intensiv« gewählt. Disziplin! Wie soll es sonst was werden? Eine englische Männerstimme erklärt in der App singend die Saiten: »Eddy Ate Dynamite - Good Bye Eddy!« Makaber, armer Eddy, aber der Schüler spielt brav mit. Und staunt schon bald, wie sich so eine straffe Stahlsaite doch ins Fleisch eingraben kann. Hornhaut erst nach zwei Wochen, frühestens!

Das Lernen: Auf dem Handy läuft eine Art Notenband über den Gitarrenhals. 1. Bund der E-Saite - mit Zeigefinger! 3. Bund der B-Saite - mit Ringfinger! Und so weiter. Das klappt selbst bei Mittvierzigern halbwegs. Richtig getroffene Töne leuchten grün, falsche rot. Und ja: Am Ende der Übung überwiegt Grün - der Hobby-Hendrix freut sich! Aber waren die Finger schon immer so dick? Wieso schnarren die Saiten oftmals so, sind die falsch gestimmt? Warum ist das so schwer?

Alle drei, vier Tage wiederholt sich das Gitarren-Schauspiel nun schon seit April. Mit mäßigem Fortschritt: Ein paar Akkorde werden leidlich gegriffen, die hohen Saiten indes bereiten weiter Mühe. Aus dem Wohnzimmer ist der ältliche Gitarrenschüler von der Familie längst verbannt worden. Ach Corona, ach Tristesse! Immerhin: Die Frau ist wohl wirklich die Richtige. Sie hat dem Lernenden einen Heizlüfter in den Schuppen gestellt: »Dein Proberaum!« Jirka Grahl

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