nd-aktuell.de / 24.12.2020 / Berlin / Seite 14

Hilfe geht nicht in den Lockdown

Unterstützungsangebote für Menschen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, bleiben erreichbar

Claudia Krieg

»Alle Frauenhäuser in Brandenburg bleiben erreichbar«, erklärt Stefanie Streit. Sie sitzt in der Koordinierungsstelle vom Netzwerk der brandenburgischen Frauenhäuser in Potsdam und weiß um die Schwierigkeit der kommenden Zeit: »Weihnachten ist an sich schon eine Herausforderung, und nun noch der Lockdown, das sind schon sehr erschwerende Bedingungen.« Man könne zwar nicht genau vorhersehen, was passiert, aber die Tendenz zunehmender Gewalt in Familien über die Weihnachtstage erlebe man jedes Jahr, erklärt die Koordinatorin.

Schon der Frühjahrs-Lockdown hatte die Situation von Betroffenen deutlich verschärft. Zum einen war es Gewaltopfern oft nicht möglich, aus ihrer Situation des fortwährenden Zuhauseseins und der Anwesenheit von Täter*innen heraus um Hilfe zu bitten. Andererseits, so Streit, hätten im Frühjahr gerade viele Frauen auch Angst vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus in einem Frauenhaus selbst gehabt und hätten diese deshalb nicht aufgesucht.

Dass diese Sorge nicht ganz unbegründet ist, weiß auch Stefanie Streit. Viele Einrichtungen bemühten sich zwar um pandemiegerechte Hygienekonzepte, trotzdem könnten nicht alle Häuser Einzelwohnungen mit Küche und Bad zur Verfügung stellen. Auch im Fall einer Quarantäne von betroffenen Frauen und Kindern gebe es dann ein Problem. »Nicht alle Gemeinden können es sich leisten, externe Wohnungen anzumieten, um einen Quarantänebereich zu schaffen.« Die Netzwerkkoordinatorin verweist in dem Zusammenhang auf die prekäre Finanzierungslage der Einrichtungen.

Mindestens 125 Zimmer fehlen

Catrin Seeger, Leiterin des Beratungs- und Krisenzentrums für Frauen in Rathenow, hatte gegenüber »nd« bereits im Oktober erklärt: »Das Land weist den Landkreisen und kreisfreien Städten einen Festbetrag zu, mit der Maßgabe, ein entsprechendes Hilfsangebot vorzuhalten.« Der Landkreis wiederum müsse sich dann um eine mindestens 40-prozentige Kofinanzierung bemühen, der Rest liege bei den Trägern. Planungssicherheit: Fehlanzeige. Vor diesem Hintergrund fehlten zuletzt im Oktober 125 Zimmer in Brandenburg, um auf die Nachfragen von betroffenen Frauen und ihren Kinder mit angemessener Unterbringung reagieren zu können.

Dazu kommen Frauen und Kinder in Flüchtlingsunterkünften. Deren Situation ist deshalb besonders schwierig, weil ihre Suche nach Hilfe zu oft die Einrichtungen, in denen sie untergebracht sind, gar nicht erst verlässt. »Jede Frau, egal wo sie lebt, versuchen wir unterzubringen«, erklärt Stefanie Streit. Allerdings gelangten Meldungen über sexuellen Missbrauch in Gemeinschaftsunterkünften in manchen Landkreisen nicht bis zu den Frauenhäusern oder Beratungsstellen. Ob sich angemessen um das Anliegen betroffener Frauen in den Unterkünften gekümmert werde, wisse man nicht, so die Beraterin. Und ob es dann zugunsten der von Gewalt Betroffenen geschehe, auch nicht. Man versuche daher vor allem, Flüchtlingsfrauen mit Informationen zu ihren Rechten zu versorgen.

Bis zu 50 Prozent mehr Gewalttaten

Auch in Berlin sieht man mit Sorge den kommenden Wochen entgegen. Während in den Frauenhäusern kleine Weihnachtsfeiern vorbereitet wurden, erinnert man sich noch an das Frühjahr. Im ersten Lockdown waren die Zahlen erschreckend hoch: Ein Drittel mehr Gewalt als ohnehin hat vor allem Frauen und Kinder mit Beginn der Coronakrise im familiären Rahmen getroffen. Während es im März 2020, also zu Beginn des Lockdowns, einen Rückgang um 24 Prozent im Vergleich zum März 2019 gab, änderte sich das wieder ab Ostern 2020. Zum Höhepunkt mit den Lockerungen im Juni 2020 verzeichnete die Gewaltschutzambulanz einen Anstieg von 30 Prozent, in den ersten zwei Juniwochen war es sogar ein Anstieg um 50 Prozent. Saskia Etzold, Leiterin der Gewaltschutzambulanz berichtete aber nicht nur von höheren Fallzahlen, sondern auch von zunehmender Schwere der Verletzungen. Genaue Zahlen kommen erst wieder im Februar des neuen Jahres, erklärt Claudia Suckow, Sprecherin der Charité, dem »nd«. Das Klinikum betreibt die Gewaltschutzambulanz, an die sich Menschen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, direkt wenden können.

Das Land Berlin reagierte im April mit der Eröffnung von zwei pandemiegerechten Notunterkünften, sodass Frauen und ihren Kindern 150 Plätze zur Verfügung gestellt werden konnten. Im November wurde kurzfristig das siebte Frauenhaus mit weiteren 55 Schutzplätzen eröffnet. Insgesamt verfügt Berlin damit über 390 Plätze für eine schnelle Aufnahme in einem Frauenhaus.

Darüber hinaus stehen in Berlin 45 Zufluchtswohnungen sowie 46 sogenannte Zweite-Stufe-Wohnungen zur Verfügung, sodass Berlin insgesamt mehr als 720 Schutzplätze für gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder anbieten kann. Freie Plätze in den Schutzeinrichtungen können über die BIG-Hotline (siehe Spalte) erfragt werden.

Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) erklärte dazu: »Wir sind auf einen Anstieg häuslicher Gewalt vorbereitet. Die Gewaltschutzambulanz bleibt geöffnet, damit Gewaltdelikte rechtssicher dokumentiert werden können. Die Familiengerichte bleiben ebenfalls erreichbar. Um die Feiertage herum herrscht beim Familiengericht erfahrungsgemäß Hochkonjunktur. Vor den Feiertagen geht es um den Weihnachtsumgang. Nach den Feiertagen geht es um Gewalt unter dem Weihnachtsbaum. In dieser Zeit lassen wir die Betroffenen nicht im Stich.« An den Familiengerichten der Hauptstadt sind die Rechtsantragstellen deshalb auch über die Zeit zwischen den Jahren geöffnet. Haftsachen, insbesondere auch für die Inobhutnahme von Kindern, und Gewaltschutzverfahren bei Fällen häuslicher Gewalt werden bearbeitet. Die Familiengerichte bleiben deshalb offen. Auch die Strafverfolgungsbehörden arbeiten weiter und bleiben sowohl für die Polizei als auch Strafverteidiger*innen ansprech- und erreichbar.

Zudem gibt es mobile Dienste für Opfer sexualisierter Gewalt in den Rettungsstellen der Charité, stationär versorgte Opfer in ganz Berlin, Frauen in Frauenhäusern und Zufluchtswohnungen und Kinder in den fünf Kinderschutzambulanzen.