Lückenhafte und veraltete Akten

Anwälte von Lina E. üben Kritik an Ermittlungen

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 5 Min.

Die öffentliche Aufregung war groß Anfang November bei der Verhaftung der Leipziger Antifaschistin Lina E. Während einige Medien ausführlich über die Tatvorwürfe und die privaten Lebensumstände der Beschuldigten berichteten, stand die Arbeitsweise der Sicherheitsbehörden dagegen wenig im Fokus. Offenbar ungerechtfertigt: So haben die Rechtsanwälte von Lina E. massive Kritik an den Ermittlungen geübt. Sie stellten zudem Strafanzeige gegen Unbekannt und forderten vollständige Akteneinsicht.

»Wir haben aus Zeitungsartikeln erfahren, dass Ermittler - sehr wahrscheinlich vom LKA Sachsen - in strafbarer Weise Akteninhalte an die Presse durchgestochen haben«, erklärten die Juristen Björn Elberling und Erkan Zünbül jüngst in einer Pressemitteilung. Zudem habe man in verschiedenen Medienbeiträgen unbelegte Aussagen von Ermittler*innen zu der angeblichen linksextremistischen Gruppe von Lina E. vernommen. »Solche Behauptungen sind in keiner Weise durch konkrete Ermittlungsergebnisse belegt; in den Akten, die uns die Bundesanwaltschaft vorgelegt hat, findet sich hierzu jedenfalls nichts«, schrieben die Rechtsanwälte.

Elberling und Zünbül erklärten weiter, dass sich die bisher übergebenen Akten der Behörden als »lückenhaft und erkennbar veraltet« herausgestellt hätten. Es würden demnach Beiakten und Sonderhefte mit relevanten Ermittlungshandlungen fehlen, in Akten zu einzelnen Taten würden wiederum noch andere Personen als Beschuldigte geführt werden. »Wir haben daher bei der Generalstaatsanwaltschaft zum einen eine Strafanzeige gegen Unbekannt wegen der strafbaren Weitergabe von Ermittlungsakten durch die Ermittlungsbehörden gestellt«, schrieben die beiden Anwälte. Zum anderen habe man beantragt, tatsächlich vollständige Akteneinsicht gewährt zu bekommen.

Für den weiteren Verlauf des Prozesses scheinen sich Elberling und Zünbül keine Illusionen zu machen: »Wir wissen, dass wir einen fairen Prozess für unsere Mandantin hart werden erkämpfen müssen«, heißt es in der Pressemitteilung. Verfahren nach dem Paragrafen 129 StGB dienten schließlich seit jeher der Ausforschung der linken Szene und der »Heraufbeschwörung des Gespenstes der gut organisierten linksextremistischen Gewalttäter«.

An diesem wurde zweifellos kräftig gebastelt: Anfang November verkündete die Bundesanwaltschaft die Festnahme von Lina E. in Leipzig. Der 25-jährigen wird vorgeworfen, an mehreren Angriffen auf Neonazis beteiligt gewesen zu sein. Sie soll in einer dafür verantwortlichen linken Gruppe eine »herausgehobene Stellung« eingenommen und bei Anschlägen das Kommando geführt haben. Konkret beschuldigt man sie der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung, des besonders schweren Landfriedensbruchs, räuberischen Diebstahls, Sachbeschädigung und Urkundenfälschung. Seit November sitzt Lina E. in Untersuchungshaft.

Bundesweit wurde über die Festnahme berichtet, auch von der Boulevardpresse. Die Solidaritätsorganisation Rote Hilfe hatte dagegen zur Unterstützung aufgerufen (»nd« berichtete), verschiedenen linke Gruppe verschickten Solidaritätsbotschaften. »Vor Lina liegen viele anstrengende Wochen«, hatte die Rote Hilfe im November angesichts des öffentlichen Drucks und der Repression prognostiziert.

Wie ist es Lina E. seitdem ergangen? »Ihr geht es den Umständen entsprechend. Sie braucht neben Solidarität insbesondere finanzielle Unterstützung«, erklärte jüngst Helena von Linas Unterstützungsgruppe gegenüber »nd«. Ihren vollen Namen will sie nicht nennen. Auch die Gruppe äußerte scharfe Kritik an den Ermittlungen. »Die Vorwürfe stehen in einem Kontext der zunehmenden Kriminalisierung von antifaschistischem Engagement«, sagte Helena. Im Ergebnis werde ein Bedrohungsszenario konstruiert, in dem der Feind links steht. »Das erkennt man bereits an der ›Kampfansage‹ des Soko-Linx-Chefs Dirk Münster, der mit Lina E. ein Exempel statuieren will.« Dass überhaupt die Generalbundesanwaltschaft die Zuständigkeit an sich gezogen hat, erscheine fragwürdig, führte Helena aus. Besonders im Vergleich mit jüngeren Fällen rechten Terrors, wo sie eine Übernahme abgelehnt hatte: Die »reale gesellschaftliche Bedrohung von rechts - angefertigte Todeslisten, gehortete Waffen, tödliche Attentate« - werde so relativiert.

Die Solidaritätsgruppe kritisierte ebenso eine Vorverurteilung von Lina E., die durch die Weitergabe von Akten an Medien erreicht worden sei. »Inwiefern dies mit dem Grundsatz der Unschuldsvermutung zu vereinbaren ist, erscheint fraglich«, so Helena. Die Berichterstattung über den Fall habe in der Folge starke Mängel aufgewiesen. »Lebensumstände wurden aus dem Kontext gerissen, um Tatsachen zu schaffen - hier insbesondere eine vermeintliche klandestine Radikalisierung«, erklärte die Unterstützerin. Widersprüche zu einzelnen Vorwürfen blieben dabei unberücksichtigt.

Darüber hinaus, so Helena, sei die Berichterstattung geprägt von sexistischen Zuschreibungen, wie etwa die Konzentration auf die Fingernägel, die Länge des Rockes oder die Haarfarbe von Lina E. »Der Dämon der hinterhältigen, gefährlichen Gewalttäterin wird so heraufbeschworen.« Die Unterstützungsgruppe versucht diese falschen und diskriminierenden Erzählungen sichtbar zumachen und das Vorgehen der Behörden kritisch zu begleiten. Dazu sammelt sie Spenden und unterstützt die Familie von Lina E.

Solidarität mit ihr hatten zuletzt auch andere Antifaschist*innen deutlich gemacht. Ein in sozialen Medien kursierendes Video der Undogmatischen Radikalen Antifa Dresden von Anfang Dezember zeigt mehrere Vermummte, die im Dunkeln skandieren: »129 - das kennen wir schon - Feuer und Flamme der Repression.« In einem Begleittext schreibt die Gruppe: »Genau diese Scheiße kennen wir aus Dresden, als 2010/11 mittels des 129er-Paragrafen antifaschistische Strukturen ausgeschnüffelt wurden und eine Vielzahl politischer Aktivisten Strafverfahren angehängt bekamen.« Das Ziel: Antifaschist*innen sollten durch die behördlichen Einschüchterungen isoliert und verunsichert werden, die Zivilgesellschaft auf Distanz gehen. Für die Aktivist*innen ist klar: »Getroffen hat es Genossin Lina, doch gemeint sind wir alle.«

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