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  • Flüchtlinge auf den Kanaren

Warten auf ein besseres Leben

Auf den Kanaren gestrandete afrikanische Migranten hoffen auf eine Zukunft auf dem EU-Festland

  • Mareike Treblin, El Hierro
  • Lesedauer: 3 Min.

Raus aus dem Lager, rein nach Europa? Der Hungerstreik von rund 300 Flüchtlingen auf Teneriffa kurz vor Weihnachten währte nicht lange, bereits nach zwei Tagen brachen sie ihren Kampf um Papiere entmutigt wieder ab. Die Behörden hatten ihre Vertreter zuvor darüber ins Bild gesetzt, dass ein einzelner Beamter für mehr als 2000 Flüchtlinge zuständig ist. Mit der Bearbeitung ihrer Anliegen würde es daher eben dauern. Und wenn sie Papiere bekämen, dann solche, die zur Rückbeförderung in ihr Herkunftsland dienen. Das habe die Hungerstreikenden desillusioniert aufgeben lassen, erzählt Jean Kande - er war einer von ihnen - am Telefon. Offizielle Informationen gibt es nur für von staatlichen Stellen akkreditierte Journalisten, doch solche Akkreditierungen sind kaum zu bekommen. Zu heikel ist das Thema.

Die Verunsicherung unter den Geflüchteten ist groß, die Informationslage auch für sie dürftig. Das betrifft auch die Regeln, die in ihrer Unterkunft gelten. Kande sagt, dass sie aus Respekt vor den Angestellten des Roten Kreuzes, die im Auftrag der spanischen Regierung für die Versorgung der hierher Geflüchteten zuständig sind, nicht nerven wollen - und sie deshalb lieber nicht zu viel fragen. Auch nicht danach, warum sie seit dem 23. Dezember das Haus nicht mehr verlassen dürfen, obwohl ihre Quarantänezeit längst vorbei ist.

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Weil er in Senegal keine Anstellung gefunden hat, begab sich Jean Kande Ende Oktober 2020 auf den Weg nach Europa, wagte die gefährliche Überfahrt. Aber das sei eine andere Geschichte. »Wir haben unser Leben nicht für nichts riskiert, sondern um das zu erreichen, was wir uns erhoffen«, betont Kande. Er möchte alles ganz legal machen, hat deshalb auch seinen Reisepass mitgebracht in diesen Teil der EU vor der afrikanischen Küste. Nun wartet er auf eine spanische Ausländeridentifikationsnummer. Die braucht er, um einen Arbeitsvertrag unterschreiben zu können, falls er einen Job findet, was er hofft. Er möchte so bald wie möglich nach »Grand Espagne«, das große Spanien auf dem Festland. Dort will er Spanisch lernen, sich sein Diplom in Betriebswirtschaftslehre anerkennen lassen und seinen Beruf ausüben.

Senegals Migrationskultur reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück, als das Land noch französische Kolonie war. Die Geldüberweisungen der Menschen in der Diaspora stellen heute für das Land einen relevanten wirtschaftlichen Faktor dar. Wer geht, trägt zum Unterhalt derjenigen bei, die bleiben. Entsprechend groß ist der Erwartungsdruck auf diejenigen, die ins Ausland gehen. Bleiben die Geldtransfers von Angehörigen in die Heimat aus, machen sich die nächsten auf den immer riskanter werdenden Weg nach Europa.

Das Rote Kreuz geht davon aus, dass die Bootsmigration trotz der Risiken und aller Abschreckung weiter anhalten wird. Auf den Kanarischen Inseln El Hierro, La Palma und La Gomera ruft es seine Ehrenamtlichen dazu auf, wochenweise auf Teneriffa auszuhelfen. Das Rote Kreuz trägt dabei die Kosten der Anreise und stellt Unterkünfte. Freiwillige wirbt es auch mit Aussicht, eine Zeit auf der Hauptinsel zu verbringen. Besonders bei der Ankunft neuer Bootsflüchtlinge wird Unterstützung benötigt.

Sichere und legale Migrationsrouten mit der Möglichkeit, eine Arbeitserlaubnis zu erhalten, um in Europa Geld zu verdienen, fehlen. Daher riskieren Menschen weiterhin ihr Leben und kommen illegal. Allein in Spanien leben derzeit bis zu 470 000 solcher Einwanderer unter meist unwürdigen Bedingungen. Die Folgen des kolonialen Erbes werden von EU ignoriert. Stattdessen gestaltet sie ihr Grenzregime derart, dass Einreisewege immer gefährlicher werden. Die Migration wird kriminalisiert. Deshalb möchte Jean Kande auch nicht, dass sein richtiger Name oder sein Foto in der Zeitung erscheint. Er möchte alles vermeiden, was ihm hier Probleme bereiten könnte. Alles, was er möchte, sind Papiere, die ihm die Freiheit geben, Geld zu verdienen und ein gutes Leben zu führen.

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