nd-aktuell.de / 20.01.2021 / Politik / Seite 3

Der König von West Virginia und der Vorsitzende Sanders

Konservative Demokraten-Senatoren und der Filibuster könnten die Agenda von Joe Biden ausbremsen. Progressive wollen Abstimmungsregel im US-Senat abschaffen

Moritz Wichmann

Ist Joe Manchin jetzt der König von Amerika? Ist der Demokraten-Senator aus West Virginia der neue Mitch McConnell, der bestimmt, welche politischen Vorhaben in den USA scheitern, so wie es der scheidende republikanische Mehrheitsführer im US-Senat getan hat? Mehr als 400 Gesetze, die das US-Repräsentantenhaus mit seiner neuen Demokraten-Mehrheit seit 2018 beschlossen hat, hatte der bei Demokraten-Wählern verhasste McConnell nicht zur Abstimmung zugelassen. Ein Gesetz zur schrittweisen Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Dollar etwa, um nur ein Beispiel zu nennen. Weil die Demokraten mit den Wahlsiegen von Jon Ossoff und Raphael Warnock in Georgia eine knappe Mehrheit von 51 zu 50 Stimmen haben, wenn Vize-Präsidentin Kamala Harris die entscheidende Stimme beisteuert, muss Chuck Schumer, der neue demokratische Mehrheitsführer im US-Senat, in Zukunft mit Joe Manchin verhandeln - dem konservativsten Senator seiner Partei, so die konventionelle Beobachter-Meinung.

Manchin kommt aus einem Staat, den Donald Trump 2016 letztes Jahr sogar mit 39 Prozentpunkten Vorsprung gewann. Entsprechend konservativ ist sein politisches Profil. Als Senator eines Bergbaustaates gibt er sich als Kohle-Freund, ist außerdem gegen Abtreibung, die Legalisierung von Migrantenkindern und stimmte 2015 als einziger Demokraten-Senator gegen die Einführung der Ehe für alle. In der Vergangenheit haben konservative Demokraten im US-Kongress über die Drohung der Nichtzustimmung Konzessionen in ihrem Sinne erreicht. Wenig Hoffnung also für eine ambitionierte linksliberale Demokraten-Agenda in einer Legislatur, in der die Partei sich nicht einen Abweichler leisten kann, könnte man meinen. Mehr noch: Ohne einige Republikaner-Stimmen kann Joe Biden seine Agenda nicht vorantreiben, die nächsten zwei Jahre sei bestenfalls lauwarme Minimalkompromissgesetzgebung zu erwarten, so viele Beobachter.

Grund hierfür ist der Filibuster. Die Abstimmungsregel schreibt eine Mehrheit von 60 Stimmen für Gesetzesprojekte vor. Sie wurde im 19. Jahrhundert eingeführt, um parteiübergreifende Zusammenarbeit im US-Oberhaus zu fördern und sicherzustellen, dass Gesetze breite Zustimmung haben. In der seit einigen Jahren immer größeren parteipolitischen Polarisierung sorgt sie vor allem für parlamentarische Lähmung. Doch sie könnte mit einfacher Mehrheit geändert werden. McConnell tat genau dies 2017. Seitdem ist der Filibuster für die Besetzung von Bundesrichterstellen außer Kraft gesetzt. Die Republikaner haben dies in den vergangenen vier Jahren genutzt, um zahlreiche rechte Richter an hohen Gerichten zu installieren. Moderate Demokraten konnten nur über einen Bruch demokratischer Normen wettern. Progressive fordern seit Jahren, den Filibuster abzuschaffen - wenn man denn die Möglichkeit dazu habe. Sie werden jetzt noch mehr Druck in der Frage machen.

Selbst Barack Obama - immer noch heimlicher Parteiführer - sprach sich letztes Jahr für eine Abschaffung des Filibusters aus. Doch nicht nur Manchin, auch drei andere eher konservative Demokraten-Senatoren lehnen die Abschaffung des Filibuster ab, auch Bernie Sanders tut es - bisher. Eine Alternative wäre die teilweise Aussetzung der Regel für Einzelprojekte. Doch es gibt weitere Verfahrenstricks zur Verabschiedung progressiver Gesetzgebung wie etwa »Budget Reconciliation«, die Haushaltsgesetzgebung.

Anders als 2008, als die neue Obama-Regierung antrat, besetzen progressive Demokraten in dieser Legislaturperiode aber die Spitzen von mehr Ausschüssen, haben größeren Einfluss. Einer davon ist Bernie Sanders. Der neue Vorsitzende des Senats-Haushaltsausschusses hat bereits angekündigt, alle Instrumente, die ihm zur Verfügung stehen, »forsch« zu nutzen, um Geld für Politik zur Reduzierung der Ungleichheit und für die »working families« im Land bereit zu stellen. Er will im Rahmen von Bidens Agenda bleiben, sie aber möglichst vollständig umsetzen.