nd-aktuell.de / 21.01.2021 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 4

Kein Geld mehr ohne Lenkungswirkung

Sachsens Grüner Agrarminister Wolfram Günther über die deutsche Umsetzung der neuen EU-Agrarförderung

Hendrik Lasch

Im Oktober hatten sich die 27 EU-Staaten auf die künftige Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) geeinigt. Sie soll ökologischer werden. Gelingt das?

Es muss. Wir brauchen eine ambitionierte grüne Agrarpolitik, die etwa dem »Green New Deal« oder der Biodiversitätsstrategie der EU gerecht wird. Deren Maßgaben zur GAP werden derzeit aber noch im »Trilog« von EU-Parlament, Kommission und Rat verhandelt. Da stecken die Beteiligten noch mitten drin.

Gleichzeitig steht die Umsetzung auf nationaler Ebene an. In Deutschland geht es dabei um jährlich über sechs Milliarden Euro. Welche Spielräume gibt es?

Die EU überlässt erstmals viele Festlegungen zur Umsetzung den Mitgliedsstaaten. Wir müssen etwa klären, welche Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen Voraussetzungen sind, dass Betriebe Geld bekommen, und welche freiwillig umgesetzt werden können. Es geht auch um Strukturen: Wie fördern wir zum Beispiel kleine und wie größere Betriebe? Es ist aber auch ganz generell ein neuer Ansatz nötig. Wir haben ein System, in dem eine ganze Branche nicht mehr vom Markt leben kann, sondern abhängig ist von Fördergeldern. Ein Großteil der Zahlungen war bisher nicht an Voraussetzungen gebunden. Dafür gibt es keine gesellschaftliche Akzeptanz mehr.

Wann soll die nationale Strategie stehen?

Das neue System muss ab 1. Januar 2023 funktionieren; bis dahin läuft eine Übergangsperiode. Die EU muss die Strategien der einzelnen Länder aber vorab genehmigen und braucht dafür Zeit. Wir müssen also dieses Jahr fertig werden. Zugleich können die Gespräche nicht ernsthaft beginnen, bevor nicht die Vorgaben aus Brüssel stehen. Das ist aber noch nicht alles. Auf nationaler Ebene sind die Umweltminister von Bund und Ländern zu beteiligen und die Vorschläge der »Zukunftskommission Landwirtschaft« zu berücksichtigen, die der Bund eingerichtet hat. Mit welchem Zeitplan wir das alles unter einen Hut bekommen, berät die Agrarministerkonferenz (AMK) auf einer Sondersitzung am 5. Februar.

Bundesministerin Julia Klöckner macht Druck und verlangt per Brief erste Ideen noch für Januar. Was steckt dahinter?

Frau Klöckner wollte hier vorgreifen. Das ist aber schlichtweg unmöglich, weil der Trilog noch läuft, was sie weiß. Das ist zum einen wegen der Komplexität der Dinge unmöglich. Zum anderen tun wir gut daran, das Thema im Kreis der Länder mit ihren sehr unterschiedlichen Agrarstrukturen zu klären. Realistisch ist ein Beschluss in diesem Jahr.

Als AMK-Vorsitzender müssen Sie moderieren; zugleich sind Sie Grüner und Ost-Minister. Wie groß sind die Konflikte?

Sie erscheinen größer, als sie sind. Früher war Agrarförderung tatsächlich oft ein Kampfplatz: hier Verfechter von Natur-, Tier-, Klimaschutz, da Landwirte. Dieser Gegensatz funktioniert so heute nicht mehr. Die Gesellschaft will wissen, warum die EU fast 400 Milliarden Euro in die Landwirtschaft steckt. Akzeptanz findet das nur, wenn die Branche einen größeren Beitrag zu Umwelt-, Klima-, Tierschutz und dem Erhalt der Artenvielfalt leistet. Zugleich ist klar, dass es dazu leistungsfähige Betriebe braucht. Wir sitzen also alle in einem Boot. Das ist der Ansatz, den ich als AMK-Vorsitzender verfolge. Wir dürfen nicht Gewinner und Verlierer produzieren. Dabei schaue ich als Grüner natürlich, dass die Landwirtschaft ökologischer wird, und als Ost-Minister, dass nicht zu viel Geld von Ost nach West fließt.

Landesbauernverbände warnen vor einem »Ausbluten« der Landwirtschaft im Osten. Es geht um strittige Fragen wie Degression und Kappung der Förderung für größere Betriebe und mehr Geld für die ersten Hektare. Gibt es für die Ost-Minister rote Linien in diesen Fragen?

Für die genannten Instrumente gibt es gute Argumente. Kleine Betriebe dürfen nicht um den Preis ihres Untergangs zum Wachsen genötigt werden. Allerdings ist die Gleichung »kleine Betriebe = gut, große Betriebe = schlecht« nicht richtig. Betriebe, die viel Fläche haben, müssen ja nicht automatisch auf riesigen Schlägen wirtschaften. Es heißt auch nicht zwangsläufig, dass dort wenige Menschen arbeiten. Daher sagen wir: Falls Kappung und Degression kommen, müssen die Arbeitsplätze in einem Betrieb bei der Berechnung eine Rolle spielen. Wenn ein Großbetrieb allerdings nur auf Masse setzt und kaum Wertschöpfung und Jobs bietet, wird er künftig vielleicht auf Geld verzichten müssen.

Sie haben eine »Gemeinwohlprämie« vorgeschlagen. Was ist das?

Es handelt sich um ein System, bei dem Punkte für umweltverträgliches Arbeiten vergeben werden, das dann finanziell honoriert wird. Dabei kann es zum Beispiel um die kleinteilige Bewirtschaftung von Flächen gehen, um Weidehaltung, Blühstreifen oder bestimmte Stoffkreisläufe im Betrieb. Das Thünen-Institut hat im Auftrag der AMK das Modell begutachtet und kommt zum Schluss, dass es eine ökologische Lenkungswirkung hätte und bis zu 150 Euro je Hektar Zusatzeinkommen für Landwirte generieren würde. Die Gemeinwohlprämie wäre ein echter Anreiz, um freiwillig umweltfreundlichere Landwirtschaft zu betreiben.

Der sächsische Landesbauernverband fordert allerdings eine Art »Grundeinkommen« ohne Bedingungen. Ist das nicht legitim?

Legitim ist, dass Betriebe ausreichend von der Förderung profitieren wollen. Zahlungen ohne jede inhaltliche Steuerung kann es aber nicht geben. Zugleich ist wichtig, dass die Anforderungen im Einklang stehen müssen mit betriebswirtschaftlichen Erwägungen. Geld muss an Bedingungen geknüpft sein - die einzuhalten die Betriebe aber auch in der Lage sein müssen. Übrigens ist es auch im Eigeninteresse der Landwirte, Geld an Inhalte zu knüpfen. Große Betriebe im Osten besitzen oft nur 20 oder 30 Prozent ihrer Flächen selbst. Reine Hektarprämien landen schnell bei den Landeigentümern, die Pachtprämien entsprechend anpassen. Oft sind das Investoren und Fonds, die von außerhalb der Landwirtschaft stammen.

Sie müssen bei den Verhandlungen viele Interessen und Rahmenbedingungen berücksichtigen. Zu allem Überfluss ist 2021 ein Superwahljahr. Wird die Agrarförderung zum Spielball im Wahlkampf?

Landwirtschaftspolitik ist Gesellschaftspolitik. Es geht um grundsätzliche Fragen: Was wird aus dem ländlichen Raum? Wie ernähren wir uns? Es wäre schon sehr erstaunlich, wenn solche Fragen in Wahlkämpfen keine Rolle spielten. Aber es gibt auch einen engen Fahrplan. Anfang 2023 muss die neue Förderung funktionieren. Der Druck ist also hoch. In der AMK sind alle Parteien vertreten, die in Deutschland an Regierungen beteiligt sind. Für Beschlüsse ist Einstimmigkeit notwendig. Ich gehe davon aus, dass sich alle Minister und Ministerinnen ihrer Verantwortung bewusst sind.