nd-aktuell.de / 21.01.2021 / Kultur / Seite 13

Was man braucht, sind Projekte

Wie Rafael Horzon um den Nobelpreis kämpfte

Jakob Hayner

Zehn Jahre ist es her, dass Rafael Horzon »Das Weisse Buch« veröffentlichte, eine Art Berlin-Mitte-Schelmenroman. Streng dokumentarisch freilich, wenn man den Autor fragt, ein Sachbuch gar, denn mit Kunst hat der Verfasser aber auch rein gar nix zu tun.

Damals ging es um seine Karriere als Paketbote (gescheitert), den Erfolg mit der Galerie »Berlintokyo« (die japanische Kunst ausstellte, die es nicht gab) oder die Idee, weiße Kastenregale (die verdächtig an ein populäres Modell eines schwedischen Möbelkonzerns erinnern) unter dem Namen »Moebel Horzon« zu vermarkten. Eine weitere von Horzons Ideen war die Gründung einer Wissenschaftsakademie, was zu Konflikten mit den anderen drei Berliner Universitäten führte.

Ein vergnügliches Buch, das sich noch aus dem subkulturellen Kunstsumpf der 90er Jahre speiste, der in der Mitte der neuen Hauptstadt im neuen Jahrtausend trockengelegt wurde, wenn es nicht gelang, sich zu institutionalisieren. Er griff bei seinen Beobachtungen nicht auf die blasierte Ironie der Bessergestellten zurück, sondern äußerte sich streng selbstironisch. Dabei zeigte er zwar auch schonungslos allerlei Eigentümlichkeiten auf, die in den entsprechenden Milieus so getan und gedacht werden, aber eben an sich selbst. Am Ende des »Weissen Buches« sagt der Erzähler über seinen ungefähren Beruf: »Interessante Dinge tun, die keine Kunst sind.« Gewissermaßen Marcel Duchamp, nur umgekehrt.

Daran hat sich auch bei Horzons neuem Buch nichts geändert - »Das neue Buch«, das im silbrig-glänzenden Umschlag wieder bei Suhrkamp erscheint. Was das für ein Titel ist? Und was für ein Buch? Das ist dem Erzähler, der es schreibt, ebenfalls rätselhaft. Nach einem Treffen mit seinem Verlag geht er jedenfalls bei seinen üblichen Vergnügungen zwischen Vernissagen und ausschweifenden Partys mit der Nachricht hausieren, er schreibe ein neues Buch und habe einen üppigen Vorschuss erhalten. Aber worum geht’s? Und wie soll es heißen? Es gibt zahlreiche Mitte-Boys, die ihn das fragen und zugleich ebenso zahlreiche Vorschläge machen. Das eher zufällige Ergebnis ist: »Das neue Buch«. Und es geht, es ist wahr, um die Entstehung desselben. Das klingt erst mal unerträglich selbstreferenziell und ätzend postmodern. Und ein bisschen ist es das auch. Aber es ist zugleich doch besser als das.

Zu schräg ist das Erzählte, zum Beispiel dass der Erzähler mit seinem Buch nicht nur der wichtigste Intellektuelle des 21. Jahrhunderts werden, sondern auch den Nobelpreis gewinnen möchte. Ohne Sex keinen Nobelpreis, rät ihm ein Freund. Das Komische ist, dass der Erzähler ungefähr jedem Ratschlag, der auf ihn einprasselt, egal wie offensichtlich dämlich er auch sein mag, blindlings folgt - bis zur Selbstdemontage. Wie ein Narr, möchte man sagen, und in der Tat trifft das wohl den Humor. In Karlovy Vary füllt er sich mit Heilwasser und Becherovka ab; zurück in Berlin, zieht er auf auf der Suche nach Häppchen von einer Galerie zur nächsten. Und wie bei einer Screwball-Komödie bekommt der Held keineswegs das, was er haben will, aber vielleicht doch das, was er begehrt. Insgesamt etwas belanglos vielleicht, charmant jedoch allemal. Und trotz aller Leichtigkeit ist »Das neue Buch« manchmal auch ernster - es geht um den Tod eines Freundes. Und um die Liebe.

Man kann das als eine letzte Reminiszenz an die Popliteratur begreifen, die heitere Sorglosigkeit der 90er Jahre, die sich letztlich in nichts aufgelöst hat (auch die angekündigte Fortsetzung von Christian Krachts »Faserland« wird darüber nicht einfach hinweggehen können). Das Scheitern zur Grundlage der Ästhetisierung der Existenz zu machen, das war der Traum des alten West-Berlin, der sich noch ein Jahrzehnt weiterschleppte, solange Immobilien- und Finanzkapital mit der smarten global-asozialen Mittelklasse im Schlepptau noch brauchten, um sich die Stadt unter den Nagel zu reißen - und somit den kultivierten Lebens- und vor allem Karriereverweigerern ihre Lebensgrundlage zu entziehen. Horzon hat im Grunde auch das schon vorweggenommen: Man braucht halt Projekte. Oder muss wenigstens so tun, als hätte man welche. Denn Nutz- und Sorglosigkeit sind im Kapitalismus nicht vorgesehen. Horzon schert sich darum wenig, und das macht wohl den eigensinnigen Reiz seiner autobiografischen Literatur aus.

Rafael Horzon: Das neue Buch. Suhrkamp, 303 S., br., 20 €.