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Eine Frage des Besitzes

Die Ausstellung »Provenienzen« in der Berlinischen Galerie zeigt, wie unterschiedlich die Herkunftsgeschichten einzelner Kunstwerke sein können

  • Ingo Arend
  • Lesedauer: 5 Min.

Eine nackte Tänzerin, die ihre Hände flehentlich zum Himmel streckt. Die Performerin mit Sehnsuchtshintergrund steht auf einem Distelzweig. Platziert ist sie inmitten eines ätherischen Energiefeldes in einer Melange aus Altrosa und Orange, durchzogen von floralen Schlangenlinien.

Heute stünde das Jugendstil-Werk aus dem Jahr 1910 vermutlich unter Kitschverdacht. Als Richard Neuhäuser, ein jüdischer Kaufmann aus München, das freizügige Ölgemälde im Musikzimmer seiner Wohnung am Bayerischen Platz in Berlin aufhängte, war das noch gewagt.

Der Maler Fidus, bei dem Neuhäuser das Werk in Auftrag gegeben hatte, hatte sich von dem Walzer »An der schönen blauen Donau« zu der Arbeit inspirieren lassen. Der Theosoph und Anhänger der Lebensreformbewegung schuf gern solche Symbole für den Ideenmix aus lichtdeutscher Mystik und Sexualreform.

Das Werk ist seit 1974 im Besitz der Berlinischen Galerie, des Berliner Landesmuseums für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur. Die Arbeit ließe sich als besonders markantes Beispiel für die Bedeutung der Provenienzforschung heranziehen. Mit seiner jüngsten Ausstellung »Provenienzen« will die Berlinische Galerie ein Themenfeld für die Öffentlichkeit erschließen, das bislang gelegentlich am Rande des Museumswesens aufflackerte, spätestens durch den Fall der Kunstsammlung des Cornelius Gurlitt aber in den Brennpunkt nicht nur der kunsthistorischen Aufmerksamkeit rückte.

Durch einen Zufall kamen die Berliner Kunsthistoriker auf die wahre Herkunft des elegischen Werkes. Sie fanden eine Postkarte, auf der der Absender den Namen des ursprünglichen Besitzers Neuhäuser notiert hatte. Bis dahin galt das Werk als vormaliger Besitz des Goldschmieds Ludwig Giesche. Der Bielefelder hatte die Arbeit 1974 an die damals in Gründung befindliche Berlinische Galerie verkauft.

Neuhäuser war Direktor der Berliner Strumpf- und Wollfirma Gebr. Grumach, die ihren Sitz direkt neben Berlins Rotem Rathaus hatte. 1935, im Jahr der Nürnberger »Rassengesetze«, waren dem Juden die Bürgerrechte entzogen worden. Wenige Tage nach dem Inkrafttreten der Gesetze brachte sich Neuhäuser in der Betriebsküche seiner Firma um. Er schloss sich dort ein und öffnete den Gashahn.

Neuhäusers Tochter Gabriele erbte den fünfteiligen Bilderzyklus. Kurz vor ihrer Flucht nach Australien verkaufte sie ihn an Ludwig Giesche. Die Schnitzeljagd nach weiteren Indizien führte die Forscher und Forscherinnen der Berlinischen Galerie schließlich nach Australien und in die USA. So konnten sie die Enkelinnen Neuhäusers aufspüren, das Werk restituieren und anschließend von ihnen zurückerwerben. Jetzt hängt Fidus’ Zyklus zu Recht in dem öffentlichen Haus.

Der Fall Neuhäuser fällt in die Rubrik »erzwungene Verkäufe«, die vom Fall des direkten Raubgutes (Entziehung, Beschlagnahme) durch den NS-Staat selbst, seine Räuber und Hehler zu unterscheiden ist.

Wenn die Ausstellung, deren 34 Bildbeispiele in der Berlinischen Galerie in Petersburger Hängung arrangiert sind, demnächst wieder öffnet, können sich Besucher und Besucherinnen Giesches Postkarte dort auf einem Touch-Pad heranzoomen und in Augenschein nehmen. Aber die krakelige Handschrift Giesches ist auch in dem Online-Rundgang, der die Schau so lange ersetzt, gut zu sehen.

Natürlich gibt es bei der Provenienzforschung auch unspektakuläre Fälle. Max Fleischers Werk »Erstkommunion« ist so ein Fall. Bei der Klärung der Frage, wie des Malers Ölgemälde der religiösen Initiation von 1886 in den Besitz der Galerie kam, führte der Weg von Berlin über Jakarta, Frankreich, Italien und Zürich wieder zurück nach Berlin.

So erschließt sich der Weg eines Malers, der nach Fernost zog, zum Botanik-Forscher wurde und den Kulturaustausch zwischen Indonesien und Europa forcierte. Sein Bild kam über eine ganz legale Schenkung in die Galerie. Besonders schön hier: das Bild des glaspalastartigen Ausstellungsgebäudes der Berliner Kunstausstellung im Universum- Landes-Ausstellungs-Park an der Invalidenstraße in Berlin-Moabit, in dem Fleischer 1887 zum ersten Mal zwei seiner Arbeiten zeigen konnte.

Die aufschlussreiche und digital sehr gut zugängliche Ausstellung macht zumindest ansatzweise deutlich, mit welch mühevoller und zeitraubender Forensik die Provenienzforschung verbunden ist. Was nicht allein, aber doch auch den schleppenden Fortschritt der entsprechenden Aufarbeitung in den deutschen Museen erklärt, die seit einigen Jahren verstärkt eingesetzt hat.

Man kann sich vorstellen, wie aufwändig das 2015 in Magdeburg eingerichtete »Zentrum Kulturgutverluste« forscht, das im Auftrag von Bund und Ländern über die weltweit frei zugängliche Internetdatenbank »Lost Art« internationale Such- und Fundmeldungen einstellt, sowohl zu NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern als auch zu im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg verbrachter Beutekunst.

Erst vor wenigen Tagen konnte nach schwierigen Recherchen die Zeichnung »Das Klavierspiel« des Biedermeier-Malers Carl Spitzweg - als 14. und vorläufig letztes als NS-Raubkunst identifiziertes Werk aus dem Kunstfund Gurlitt - an die rechtmäßigen Erben des im Konzentrationslager Auschwitz ermordeten ehemaligen Eigentümers Henri Hinrichsen zurück- und in eine Auktion eingeliefert werden.

Mittlerweile verzeichnet die Magdeburger Datenbank circa 100 000 detailliert beschriebene Objekte. Dazu kommen etwa 3,5 Millionen Einzelobjekte, deren Herkunft aufgrund der historischen Umstände weder quantifiziert noch qualifiziert werden können.

Fragen nach Herkunft und den verschlungenen, teils sinistren Wegen der Provenienz stellen sich Museumsbesucher beim Besuch normalerweise nicht. Die Berliner Schau eröffnet so faszinierende Einblicke in eine weniger beachtete Teildisziplin der Kunstgeschichte. Vor allem zeigt sie aber Dimensionen einer Sozialgeschichte der Kunst - so, wie sich hier exemplarisch die Wanderungen ausgewählter Werke durch soziale und politische Milieus nach geografischen Himmelsrichtungen und die Kanäle der ökonomischen Distribution von Kunst nachvollziehen lassen. Und wie sich mit dem Blick hinter die Kulissen eines Bildes ein persönliches Schicksal erkennen lässt.

Kunst, so ließe sich folgern, ist nicht nur eine Frage der Stile, des Genusses und der Rezeption. Kunst reist oft viel weiter, als wir annehmen. Und sie ist eine Frage des Besitzes.

»Provenienzen. Kunstwerke wandern«, bis 16. August, Berlinische Galerie. Virtueller Rundgang unter: www.berlinischegalerie.de

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