Makeln für die Wirtschaft

NRW will ein Lehramtsstudium ohne das Fach »Sozialwissenschaft«

  • Thomas Gesterkamp
  • Lesedauer: 3 Min.

Die nordrhein-westfälische FDP-Politikerin Yvonne Gebauer ist nicht sonderlich beliebt. Als Schulministerin im Kabinett des neuen CDU-Chefs Armin Laschet konfrontiert sie Eltern, Lehrkräfte und Behörden mit überraschenden Entscheidungen, die diese dann über Nacht umsetzen müssen. Immerhin plädiert sie in Corona-Zeiten vehement für den Präsenzunterricht, damit Kinder aus benachteiligten Familien nicht weiter abgehängt werden - während etwa die SPD-Landtagsopposition dieses brisante Problem weitgehend ignoriert. Gebauers Ablehnung des Homeschoolings liegt natürlich auch im Interesse der FDP-Wirtschaftsklientel, denn Unternehmen wollen verfügbare Arbeitskräfte und keine Eltern, die mit dem Bespaßen ihrer Kinder beschäftigt sind. Trotzdem, das Etikett »neoliberal«, das man ihrer Partei gerne anhängt, verdiente die Ministerin für ihre Bildungspolitik bisher nicht.

Im Windschatten der Pandemie

Das aber ändert sich gerade. Denn jetzt will die gelernte Immobilienkauffrau das Studium der »Sozialwissenschaften« aus den Lehramtscurricula der Hochschulen in NRW streichen. Dafür erntet die einstige Maklerin wütenden Protest. »Im Windschatten der Pandemie« wolle sie ein »Monofach Wirtschaft« etablieren, heißt es in einem - ausdrücklich so bezeichneten - »Brandbrief« der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung (DVPB). Mit der ohne jede Absprache mit den Fachverbänden geplanten neuen »Lehramtszugangsverordnung«, moniert Rainer Schiffers vom DVPB-Landesvorstand, greife sie »in die Trickkiste«. Die Entscheidung folge »machtpolitischen Interessen und nicht den Lern- und Orientierungsbedürfnissen der Kinder und Jugendlichen«.

Es geht um eine Fachrichtung, die »seit fast 50 Jahren« zum Profil der Bildungspolitik im bevölkerungsreichsten Bundesland mit seinen rund 2,5 Millionen Schülerinnen und Schülern gehöre, so die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Die GEW betont den »interdisziplinären« Zugang des Sowi-Unterrichts, es handele sich um integrative Inhalte mit »eigener methodischer und didaktischer Prägung«. Kinder müssten lernen, sich in »komplexen gesellschaftlichen Situationen zu orientieren«. Diese Leitidee passe nicht zum geplanten Fach »Wirtschaft/Politik«.

BWL als Weltsicht

Ökonomische Themen an den Schulen stärker zu verankern ist grundsätzlich sinnvoll. Es kommt aber auf die Balance von Wirtschafts-, Sozial- und Politikwissenschaft an. Immer stärker wird versucht, die Lehrpläne im Sinne der Privatwirtschaft auszurichten. In den 1970er und noch in den 1980er Jahren dominierte in Westdeutschland als Folge der Studierendenbewegung eine gesellschaftspolitische Perspektive. Nach der angeblich »geistig-moralischen Wende« während der Kanzlerschaft Helmut Kohls gewann die betriebswirtschaftliche Weltsicht im Unterricht an Gewicht. Das drückte sich symbolisch schon in der Bezeichnung der Fächer aus, die ständig wechselte. Je nach Land und Schulform war zunächst von Sozialkunde, Gesellschaftslehre oder Sozialwissenschaften die Rede, später auch von Arbeitslehre oder Politik/Wirtschaft. Hinter dem nun in Nordrhein-Westfalen umgedrehten Label Wirtschaft/Politik verbergen sich klare Prioritäten. Hochschullehrende und Bildungsgewerkschaften sorgen sich, dass »Politik« zum Anhängsel wird - und als nächster Schritt nur noch der Titel »Wirtschaft« in Vorlesungsverzeichnissen und Stundenplänen stehen könnte.

Massive Folgen hat diese Entwicklung für die Seminarangebote in den Lehramtsstudiengängen der Hochschulen. »Wir fürchten, dass zum Beispiel die Soziologie langfristig überhaupt keine Rolle mehr spielt«, sagt Bettina Lösch, akademische Rätin im Forschungsbereich Politikwissenschaft, Bildungspolitik und politische Bildung an der Universität Köln. Sie prognostiziert das Szenario einer schleichenden Privatisierung: Schon jetzt hätten Stiftungen oder Unternehmen wie die Deutsche Bank vor allem an den rein wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten zu viel Einfluss. In der universitären Schulung von Lehrkräften dürfe das nicht die Regel werden: »Ökonomische Bildung sollte nicht mit ökonomischen Interessen verbunden sein, wir brauchen ganzheitliche und sozial orientierte Inhalte.«

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