nd-aktuell.de / 27.01.2021 / Berlin / Seite 11

Hoffen auf mehr Präsenz

Den Nachhilfe-Instituten in Berlin gehen die Kunden aus

Maximilian Breitensträter
Wer sich dieser Tage mit Berliner Lehrern unterhält, hört häufig dasselbe Klagelied: Die Corona-Pandemie führt bei Schülern zu enormen Wissenslücken. Eine aktuelle Studie des Forsa-Instituts bestätigt diese Einschätzung. Demnach gibt jeder vierte Lehrer in Deutschland an, dass sich bei knapp der Hälfte seiner Schüler Leistungsrückstände bemerkbar machten. Elf Prozent sagen, dass die Pandemie zu Lerndefiziten bei fast allen ihren Schülern geführt habe.[1] Eine Umfrage der Bertelsmann-Stiftung hat ermittelt, dass rund 90 Prozent der befragten Lehrkräfte finden, dass sich zudem die sozial bedingten Ungleichheiten verstärkt haben. Der Grund: Die fehlende Betreuung im Distanzunterricht.

Wenig Betreuung, Wissenslücken, miese Noten: Müsste da nicht die Stunde der außerschulischen Nachhilfe-Institute schlagen? Immerhin versprechen die unzähligen Anbieter in der Hauptstadt den Eltern, gegen Zahlung eines entsprechenden Obolus die Wissenslücken beim Nachwuchs zu stopfen und schulische Leistungen zu verbessern.

Einer, der die Lage einschätzen kann, ist Till Rienäcker, seit 13 Jahren Geschäftsführer von Nachhilfe im Kiez. Das Unternehmen bietet an drei Standorten in Berlin Hilfe in unterschiedlichen Fächern für Schüler aller Klassenstufen an. »Corona bricht uns auf lange Sicht das Genick«, sagt Rienäcker, der in seinem Team erfahrene Lehrer hat. »Die Nachfrage nach Nachhilfeunterricht ist im Lockdown gesunken.«

Seit März 2020 laufen seine Angebote fast nur noch online über Videokonferenzen ab, sagt Rienäcker. Eine Wochenstunde Einzelunterricht kostet bei Nachhilfe im Kiez zwischen 99 und 132 Euro im Monat. »Die Online-Nachhilfe über Zoom und ähnliche Plattformen findet bei vielen Eltern keinen Anklang«, sagt der 53-Jährige. »Die Eltern sagen sich: Mein Kind sitzt im Homeschooling sowieso schon viel zu lange vor dem Bildschirm.« Insbesondere Eltern von Grundschulkindern stünden den Online-Angeboten skeptisch gegenüber. »Auch wenn die digitale Nachhilfe grundsätzlich gut funktioniert, die Lehrer-Schüler-Beziehung kann sie nicht ersetzen«, sagt Rienäcker. Um auf Dauer wirtschaftlich überleben zu können, brauche seine Branche Präsenzunterricht.

Neben der Ablehnung von Online-Angeboten sieht Rienäcker weitere Gründe, warum die Nachfrage nach Nachhilfe im Lockdown sinkt. So gebe es Familien, die sich das Angebot nicht mehr leisten könnten. Auch wirke sich der im Distanzunterricht vielfach fehlende Leistungsanreiz negativ aus. Diese Gründe zusammen führten zu einer paradoxen Situation: einerseits die Lernrückstände bei vielen Schülern – andererseits die sinkende Nachfrage bei der Nachhilfe, die das Ziel hat, Defizite auszugleichen.

Marion Steinbach, Sprecherin des Bundesverbandes der Nachhilfe- und Nachmittagsschulen, sieht diese Entwicklung mit Sorge. »Bei rund zwei Dritteln unserer Mitglieder ist die Nachfrage im Lockdown gesunken, teils sogar deutlich«, sagt Steinbach. Dieses habe eine Umfrage bei den rund 130 Verbandsmitgliedern ergeben. Als ursächlich für den Nachfragerückgang sieht auch Steinbach den fehlenden Notendruck sowie die ablehnende Haltung gegenüber Online-Angeboten. Hinzu komme die verbreitete Unsicherheit. »Es fehlen die Planungsmöglichkeiten.« Niemand könne sagen, wie lange die Schulen geschlossen bleiben.
Positiv sieht sie die Entscheidung der Kultusminister, dass die Abitur- und Abschlussprüfungen im Corona-Schuljahr planmäßig stattfinden sollen. Das trage für die Jahrgänge zu mehr Sicherheit bei. Und beschert den Nachhilfe-Unternehmen freilich Umsatz.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1147462.corona-pandemie-homeschooling-in-der-kreidezeit.html