Was sonst niemand macht

Die Linke im Bundestag erklärt beim virtuellen Jahresauftakt, warum sie unersetzlich ist

Was sonst im Januar im voll besetzten Saal im Berliner Traditionskino Kosmos zelebriert wird, musste jetzt ohne Publikumskontakt vor leeren Rängen stattfinden: der politische Jahresauftakt der Linksfraktion im Bundestag. Ohne Applaus und andere Reaktionen gingen drei etwas atemlose, weil ins zweistündige, durchgetaktete Programm gepresste Talkrunden über die Bühne des Berliner Admiralspalastes.

Als Moderator fungierte Sergej Lochthofen, bis 2009 Chefredakteur der »Thüringer Allgemeinen« und damit lange einziger Ostdeutscher an der Spitze eines in Ostdeutschland erscheinenden Regionalblattes. Ein von ihm separat geführtes Interview mit der prominenten Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht wurde zwischendurch ebenso eingeblendet wie ein Statement von Thüringens Regierungschef Bodo Ramelow, Gespräche der Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger mit Aktivistinnen über das Hartz-IV-Sanktionsregime und den Pflegenotstand sowie einen ebenfalls als Film eingespielten Auftritt der Rapperin und Antifaschistin Antifuchs samt Gespräch von Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau mit ihr.

Zwischen den Sitzreihen stehend führte Gesine Lötzsch, haushaltspolitische Sprecherin der Fraktion, durch den Abend, gemeinsam mit dem europapolitischen Sprecher sowie langjährigen Kulturpolitiker Diether Dehm, der den Jahresauftakt seit Langem organisiert. Im effektvoll mit Bildern und Piktogrammen gestalteten Eingangstrailer heißt es über die Linke: »Wir graben aus, bringen auf den Tisch, was sonst kein Thema wäre. (...) Wir fragen, beantragen, veröffentlichen, bringen voran, was hier sonst niemand macht.« Jan Korte, Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion, sagte später einmal mehr, nur die Linke lege sich »mit denen da oben« an, und das müsse auch so bleiben. »Wenn jemand langweilig und angepasst ist, dann sind das die Grünen«, meinte Korte.

Auf ein mögliches Regierungsbündnis mit ebendiesen Grünen und der SPD angesprochen, betonte neben Korte auch Fraktionschef Dietmar Bartsch, die Linke müsse einen Wahlkampf für ihre eigenen Inhalte machen, über »Konstellationen« könne man nach der Wahl reden. Ob es gelinge, die für die Mehrheit im Land so wichtigen Ziele durchzusetzen, hänge wesentlich vom Wahlergebnis der Partei ab. Bartsch zeigte sich auch optimistisch, dass die Partei im Osten Wähler von der AfD zurückgewinnen könne. Das habe die Entwicklung der Linke-Wahlergebnisse in Mecklenburg-Vorpommern gezeigt. Wenn es um künftige Bündnisse gehe, müssten sich »die anderen positionieren, nicht wir«, betonte Bartsch. In der Linken gebe es kaum noch jemanden, der gegen das Regieren im Bund sei. Dass die potenziellen Partner sich »bewegen« müssen, stellte auch Ko-Fraktionschefin Amira Mohammed Ali mit Blick auf die Befürwortung der Nato-Aufrüstungsziele durch die Grünen heraus.

Dass die »Widersprüche zwischen mir und den Grünen sehr groß« seien, hob auch Gregor Gysi hervor, derzeit außenpolitischer Sprecher der Fraktion. Der 72-Jährige wird wieder für den Bundestag kandidieren und um ein Direktmandat in Berlin kämpfen. Gysi mahnte mit Blick auf die Schwierigkeiten, zu neuen politischen Mehrheiten zu kommen: »Wer nicht kompromissfähig ist, ist nicht demokratiefähig, aber wer zu viel Kompromisse macht, gibt seine Identität auf.« Aber: »Ich will nicht mehr ewig warten auf gleiche Renten und gleiche Löhne in Ost und West.« Die »Demilitarisierung der Außenpolitik« sei derzeit allerdings »eigentlich nicht mehrheitsfähig«, obwohl hohe Militärausgaben »eine riesige Steuerverschwendung« seien, so Gysi.

Die designierte Parteivorsitzende Janine Wissler, die Ende Februar zusammen mit Susanne Hennig-Wellsow auf einem Onlineparteitag gewählt werden soll, sagte: »Wir brauchen so etwas wie einen Pol der Hoffnung von links.« Solidarität sei unteilbar, sie ende auch nicht an den Außengrenzen der EU.

Gesine Lötzsch warb für die von der Linken geforderte Vermögensabgabe für »Superreiche« zur Finanzierung des Kampfes gegen die Corona-Pandemie und zur sozialen Absicherung der von Kurzarbeit und Erwerbslosigkeit Betroffenen. Sie betonte, diese würde nur »0,7 Prozent der Bevölkerung« betreffen.

Der Kampf um Mehrheiten wird für die Linke unterdessen durch die pandemiebedingten Einschränkungen noch einmal enorm erschwert. Einerseits wird die Partei ihr Wahlprogramm erst im Juni beschließen, andererseits ist derzeit noch lange nicht an Wahlkampfstände und Kundgebungen zu denken, auf denen Politiker der Partei mit potenziellen Wählern ins Gespräch kommen können. Darauf, dass dies in absehbarer Zeit möglich sein wird, hofft Sahra Wagenknecht, die erneut auf Platz eins der Landesliste in Nordrhein-Westfalen für den Bundestag kandidieren will.

Die zweistündige Veranstaltung ist auf dem Youtube-Kanal der Linksfraktion als Video verfügbar.

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