nd-aktuell.de / 03.02.2021 / Politik / Seite 3

Nur noch pure Angst

Auch Männer werden Opfer häuslicher Gewalt, aber nur wenige berichten bislang darüber. Ein Männertelefon dient als Anlaufstation

Andreas Boueke

Wenn Männer darüber sprechen, wie sie von ihrer Frau geschlagen werden, dann wollen sie meist nicht, dass ihr Name öffentlich bekannt wird. »Ich habe mich so geschämt«, sagt ein Mann, der Tami genannt werden möchte. »Mir war bewusst, dass ich mit niemandem in meinem Umfeld darüber sprechen konnte. Die meisten Leute haben sehr klare Vorstellungen, wie sich ein Mann zu verhalten hat.«

Tami ist einer von Hunderttausenden oder gar Millionen Männern in Deutschland, die unter der Gewalt ihrer Partnerin leiden. Das Bundeskriminalamt geht davon aus, dass jedem sechsten Mann mindestens einmal in seinem Leben in einer Partnerschaft körperliche Gewalt zugefügt wird.

»Vor Jahren habe ich auf einer Internetplattform eine Frau kennengelernt«, erzählt Tami. »Sie hat relativ schnell zu erkennen gegeben, dass sie in einer von Gewalt und Unterdrückung geprägten Ehe lebt. Das hat mich damals als unerfahrener junger Mann unheimlich getriggert. Ich dachte: ›Der Frau musst Du helfen.‹«

Tami wollte ihr zeigen, dass es auch hilfsbereite, freundliche Männer gibt. Männer wie ihn. Er ahnte nicht, dass er bald selber zum Gewaltopfer werden würde. Von der Konstellation, dass ein Mann von seiner Frau verprügelt wird, hatte er zuvor noch nie gehört. »Über die Jahre entwickelte sich eine Beziehung, in der es sehr wichtig war, dass ich ihre materiellen Bedürfnisse befriedige. Sie brauchte Luxus und Anerkennung und hatte mich dazu auserkoren, ihr diese Wünsche zu erfüllen. Darauf bestand sie mit Nachdruck und irgendwann auch mit Gewalt.«

Kaum Unterstützung für männliche Opfer

Die wohl meistzitierte deutschsprachige Studie zu dem Thema »Gewalt gegen Männer« stammt aus dem Jahr 2004, die das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend veröffentlicht hat. Ansonsten wurde dazu hierzulande bisher nur wenig geforscht. Auch deshalb gibt es kaum Hilfsangebote. Das erste Beratungstelefon speziell für männliche Gewaltopfer wurde erst im April 2020 eingerichtet. Einer der Männer, die unter der deutschlandweiten Nummer 0800-1239900 männliche Gewaltopfer beraten, ist der Sozialpädagoge Helge Rettig: »Es braucht Zeit, bevor Männer anerkennen, dass sie Opfer von Gewalt sind. Das ist nicht Teil des üblichen Männerbilds und widerspricht uralten Vorstellungen von Männlichkeit.«

Wenn im Fernsehen mal zu sehen ist, wie ein Mann von seiner Frau geschlagen wird, dann ist das wahrscheinlich eher ein Gag in einer Komödie als die Darstellung eines realen gesellschaftlichen Problems. Auch männliche Gewaltopfer selbst halten ihre eigenen Berichte oft für unglaubwürdig, erklärt Helge Rettig: »Immer wieder höre ich von Männern: ›Das werden sie mir jetzt nicht glauben und schon gar nicht, wenn ich ihnen erzähle, dass meine Frau zwanzig Zentimeter kleiner ist als ich. Sie schlägt mich jede Woche ein, zweimal ins Gesicht und ich tue nichts. Ich gehe dann immer nur weinend in mein Zimmer.‹«

Womöglich sind über zwanzig Prozent der Opfer häuslicher Gewalt in Deutschland Männer. Vertrauenswürdige Statistiken mit belastbaren Daten gibt es dazu nicht, auch, weil nur sehr wenige Männer bereit sind, über solche Erfahrungen zu sprechen. »Wenn sie bei uns anrufen, ist es oft das erste Mal, dass ihr Elend Gehör findet«, sagt Helge Rettig. »Viele sind dann überrascht, dass ihnen geglaubt wird.«

Opferschutz der Polizei

Für Tami wurde die Gewalt in der Beziehung nach und nach zur Normalität. »Die Wutanfälle wurden schlimmer. Mal warf sie einen Gegenstand gegen die Wand, mal auf mich. Sie begann, mich zu treten und immer öfter zu schlagen.«

Körperliche Gewalt ist strafrechtlich relevant. Beim polizeilichen Opferdienst melden sich allerdings meistens Frauen. In den zwanzig Jahren, in denen Kriminalhauptkommissarin Ursula Rutschkowski ein Kommissariat für Opferschutz geleitet hat, kam es nur selten vor, dass Männer sich trauten, über ihr Leid zu sprechen. »Sie erzählen von Frauen, die wirklich ausrasten, schreien, beleidigen ohne Ende, schlagen, kratzen, beißen«, sagt die Polizistin. »Von uns bekommt so ein Mann Verhaltenstipps, damit er weiß, wie er eine Eskalation verhindern kann. Natürlich muss er sich abgrenzen, um Schläge zu vermeiden. Wenn er nie zurückschlägt, weil das einfach nicht seinem Wesen entspricht, hat seine Partnerin das schnell raus. Wenn sie dann versucht, ihn zum Äußersten zu reizen, ist es das Beste, sich der Situation zu entziehen.«

Tamis Strategie war eine andere. Er versuchte, seiner Freundin möglichst alles Recht zu machen, um Gewaltausbrüche zu vermeiden. »Eine meiner Aufgaben war es, mich um die Wäsche zu kümmern. Wenn sie meinte, dass ich nicht alles so gemacht habe, wie sie es wollte, schmiss sie die ganzen Kleider die Treppe runter und brüllte: ›Kannste wieder aufsammeln. Kannste alles neu machen.‹ Natürlich habe ich das gemacht. Ich wollte ihr ja gefallen. Einmal bin ich die ersten Stufen der Treppe runtergegangen, als ich plötzlich einen gehörigen Tritt bekam und die Kellertreppe runterfiel. Dann lag ich da auf dem Boden, das Schienbein zerkloppt. Sie spuckte noch ein paarmal auf mich und hat dann das Haus verlassen. Das war so eine typische Alltagssituation.«

Mehrfach musste Tami ins Krankenhaus, wegen Schnittwunden und schwerer Verletzungen. Hätte er die Übergriffe angezeigt, wären diese Beweise wichtig gewesen, erklärt Ursula Rutschkowski: »Er hatte ja sogar Knochenbrücke. Da zweifeln dann auch die Polizisten nicht mehr, wer in so einem Fall Opfer und wer Täterin ist.«

Die Polizistin rät den Opfern, nach jedem Fall von Partnerschaftsgewalt Notizen über Einzelheiten der Tat zu machen. Gegebenenfalls sollte ein Arzt aufgesucht werden, der Verletzungen dokumentiert. Eine solche Beweissicherung kann auch dann noch relevant sein, wenn erst Jahre später eine Strafanzeige gestellt wird. »Aber im Grunde geht es ja in erster Linie darum, dass der Mann aus dieser so extrem belastenden, verstörenden Beziehung rauskommt.«

So sieht es auch Helge Rettig von der bundesweiten Telefonbetreuung der Männerberatungsstelle man-o-mann: »Wenn sich Männer in akuten Gewaltsituationen befinden, geht es zuerst einmal um Schutz. Wir raten ihnen, ihre Situation ernst zu nehmen. Das heißt, dass sie erst mal nicht zurück nach Hause gehen. Sie brauchen eine andere Unterkunft. Gleichzeitig schauen wir, wo es die nächste Beratungsstelle in ihrer Nähe gibt, damit sie dort besprechen, wie es weitergehen kann. Und vielleicht müssen sie auch raus aus ihrer Beziehung.«

Doch genau das ist häufig die größte Angst vieler Männer. »Gerade Beziehungen, in denen auch Gewalt ausgeübt wird, sind oft sehr stabil«, sagt Helge Rettig. »Für viele Opfer ist es enorm schwierig, sich zu trennen.«

Scham und Angst

Sechs Jahre lang schaffte Tami es nicht, sich aus der Situation zu befreien. »Es war nur noch pure Angst. Ich hatte keinen eigenen Wohnraum, keinen Besitz, keine Kontrolle über mein Konto. Mir gehörte nichts mehr. Sie kontrollierte alles: Nahrung, Dach über dem Kopf, Kommunikation. Die Frage, wo das alles hinführen wird, stellte sich mir nicht. Da war nur noch die Frage: Wie kann ich es das nächste Mal besser machen, damit sie nicht mehr zuschlägt?«

Gewaltopfer leiden unter Stress und Wut. Nicht selten kommt es zu Angsterkrankungen, sozialer Isolation und Suizidversuchen. So war es auch bei Tami: »Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich es nicht mehr schaffe. Entweder verschwindet diese Frau und das Elend hört mit einem Male auf, oder ich verschwinde von diesem Planeten. Ich habe zwei Suizidversuche hinter mir. Einer wurde verhindert, der zweite endete im Krankenhaus.«

Helge Rettig und seine Kollegen des Beratungstelefons unterstützen explizit Männer, die Opfer von Gewalt geworden sind. Sie haben viel zu tun. »Das Telefon ist 38 Stunden in der Woche geschaltet. Mindestens die Hälfte der Zeit wird telefoniert. Perspektivisch gibt es die Überlegung, ob es eine zweite Leitung geben soll, damit mehr Männer zum Zuge kommen.«

Hätte sich Tami nach seinen ersten Gewalterfahrungen an ein Männerberatungstelefon wenden können, dann wären die Gespräche für ihn sicher sehr wertvoll gewesen. Aber zu der Zeit gab es noch kein solches Angebot in Deutschland. Er musste sich selber helfen. »Irgendwann kam wieder so ein Tag, an dem ich mir auf der Fahrt zur Arbeit bewusst machte, was mit mir geschieht. Vor Verzweiflung schrie ich im Auto, so laut ich konnte. Als ich auf der Arbeit ankam, hatte ich einen richtig dicken Hals. Der wurde den ganzen Tag über nicht besser. Ich war so wütend, dass ich nicht die Möglichkeit hatte, mir auf dem Weg nach Hause an der Apotheke Halstabletten zu kaufen. Mein Heimweg wurde von ihr minutiös überwacht.«

Kontrolle und Psychoterror

Exzessive Kontrolle ist eine typische Begleiterscheinung solcher Partnerschaften. Eine übermäßig eifersüchtige Frau kontrolliert und bestimmt den Alltag des Mannes und unterbindet seine privaten Kontakte zu anderen Menschen. »Da entschied ich mich, ein paar Minuten früher von der Arbeit loszufahren, das Handy abzuschalten und nie wieder nach Hause zu fahren. Es kann doch nicht sein, dass ich mir als erwachsener Mann nicht einmal Halstabletten kaufen kann!«

In diesem Moment hätte Tami eine Schutzwohnung in seiner Nähe gebraucht. Aber in ganz Deutschland gibt es bisher nur sieben solche Einrichtungen für Männer. »Ich bin dann in die Obdachlosigkeit gegangen und habe einige Zeit lang in meinem Auto gelebt. Auf einem Autobahnrastplatz habe ich mir überlegt, wie ich in ein neues, gewaltfreies Leben komme.«

Tami bedauert, dass es nicht schon seit langer Zeit und viel mehr öffentliche Hilfsangebote für Männer gibt. Heute engagiert er sich selbst in der Männerarbeit. »Ich hoffe, dass wir Gewalterfahrungen irgendwann nicht mehr automatisch den Geschlechtern zuordnen. Wem steht Hilfe zu, wem steht keine Hilfe zu? Warum muss dieses Ministerium ›für Familie, Frauen und Senioren‹ heißen? Wir wollen, dass alle Menschen gleich behandelt werden. Es geht doch um Menschen, die Hilfe brauchen.«