Laut hören oder gar nicht

Plattenbau

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Musik, die Marc Richter unter dem Namen Black to Comm macht, wird in Ermangelung genauerer Begriffe gerne experimentell genannt. Das heißt, sie klingt schwierig. Schwierig wird es im Pop - und natürlich sind Black to Comm immer noch Pop, auch wenn die Nähe zur modernen Komposition hör- und spürbar ist - immer dann, wenn die Rhythmen, Melodien und Geräusche einem nicht konstant klarmachen, auf welche Gefühlslage sie abzielen. Wenn die Koordinaten und Signale uneindeutig und, nicht nur deswegen, eben auch voraussetzungsreich werden, dann wird es eben: schwierig. Nun findet man paradoxerweise am schnellsten einen Zugang zur Musik Marc Richters, die sich größtenteils aus bis zur Unkenntlichkeit verfremdeten Samples zusammensetzt, wenn man sie möglichst unmittelbar an sich ranlässt. Also man hört das laut und über Kopfhörer oder gar nicht.

Das wohl zugänglichste Black-to-Comm-Album »Alphabet 1968« von 2009 entfaltet schnell eine einhüllende Atmosphäre, das schon, aber doch so spröde und störrisch neben der Spur laufend, dass man wacher wird. Filmische Assoziationen drängen sich bei dieser Musik sehr auf. Der Kulturtheoretiker Marc Fisher etwa fühlte sich von »Alphabet 1968« an die Wohnung des Androiden-Konstrukteurs JF Sebastian aus Ridley Scotts »Blade Runner« erinnert. Auf dem Nachfolger »Earth« erklingt dann eine ungleich sperrigere, irgendwie verorgelte Musik, mit wirklich arg sonderbarem, nicht eben schönem Gesang Richters. Klänge für einen Spaziergang durch einen pilzigen, schimmeligen Mischwald. Das Bläser-Sample-lastige »Seven Horses for Seven Kings« klang dann 2019 wie der Soundtrack zu einem Albtraum, wie man ihn zusammenträumt, wenn man besonders fett gegessen hat.

Soweit der Versuch, diese Musik irgendwie metaphorisch zu beschreiben. Ihre Schönheit und ihre gleichzeitige Sprödheit sind jedenfalls sehr ausgeprägt. Das gilt auch für die beiden Veröffentlichungen Richters aus dem letzten Jahr. Das Tape »A C of M« versammelt 18 kurze Stücke, die wirken wie Fingerübungen und deren Spaß an den eigenen gestalterischen Möglichkeiten unüberhörbar ist. Das durch den Verzerrer geschickte Sprachsample zu Beginn gibt die Richtung vor: »It’s really fun to manipulate«. Und das letzte Stück »Zoom Meeting on a Dissecting Table of a Sewing Machine and an Umbrella« verweist durch die Anspielung im Titel und Soundästhetik auf den Surrealismus im Allgemeinen und eventuell auf die Band Nurse with Wound im Besonderen, die überhaupt eine wichtige Referenz für Marc Richter sein könnte. Dem müsste man dann auch noch mal nachgehen.

Das Album »Oocyte Oil & Stolen Androgens« geht es dann wieder etwas konzeptueller an und beginnt mit dem siebzehnminütigen Stück »Gustav Metzger as Erwin Piscator, Gera, January 1915«. Das kann wohl als Hommage verstanden werden und hat einerseits etwas Elegisches. Andererseits ist es auch Trauermusik, wie auch die übrigen Stücke des Albums unterschwellig angespannt und geladen bleiben. Da passt der Verweis auf den Aktionskünstler Metzger (»Pete Townshend, ein Student Metzgers am Ealing Art College, begründete die Zerstörungswut der englischen Band The Who mit Metzgers Konzept der Autodestruktiven Kunst«, weiß Wikpedia). Vielleicht ist damit auch schon das schön Befremdliche dieser Musik halbwegs bestimmt: Ambient, der einen ganz umhüllen kann und trotzdem nichts Entspannendes oder gar Eskapistisches hat. Sondern einen immer in Spannung zur Welt hält, wie sie nun einmal gerade ist.

Black to Comm »A C of M« (Cellule 75),

Black to Comm »Oocyte Oil & Stolen Androgens« (Thrill Jockey)

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