Kampf um das Statussymbol

Verbot von neuen Einfamilienhäusern in Hamburg-Nord sorgt für bundesweite Debatte

  • Dieter Hanisch
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Einfamilienhaus ist über Jahrzehnte Deutschlands beliebtester Wohntraum gewesen. Im Zeitalter von Klimawandel, urbaner Verdichtung, Flächenfraß und abnehmender Artenvielfalt wird diese Wohnform aber immer mehr infrage gestellt. Im Norden Hamburgs ist dieses Wohnmodell unter einem grünen Bezirksamtsleiter nun seit etwa einem Jahr abgeschafft. Seit Ende Januar kocht die Debatte um diese politische Praxis nun bundesweit medial auf. Jetzt hat sich auch die grüne Bundestagsfraktion dazu geäußert. Co-Fraktionschef Anton Hofreiter warnte in einem »Spiegel«-Interview vor der weiteren Zersiedelung und mehr Verkehr durch Einfamilienhäuser.

Angefangen hat alles mit dem im Herbst 2019 ausgehandelten Koalitionsvertrag zwischen Grünen und SPD im Bezirk Hamburg-Nord, zu dem beispielsweise die Stadtteile Eppendorf, Fuhlsbüttel und Langenhorn gehören. Der Gebäudetyp Einfamilienhaus findet seither, unter dem grünen Bezirksamtschef Michael Werner-Boelz, nicht mehr statt. Zu großer Flächenverbrauch, zu viel Baumaterial und eine schlechtere Energiebilanz, dazu seit Jahren explodierende Preise für Bauland in Ballungsgebieten. Und auch das Statistische Bundesamt liefert Zahlen für einen solchen baupolitischen Wandel. So befinden sich 31 Prozent aller Wohnungen in Deutschland in Einfamilienhäusern, die aber 41 Prozent der Fläche in Anspruch nehmen. Anders bei Mehrfamilienhäusern: Dort finden sich 42 Prozent der Wohnungen auf nur 33 Prozent der Fläche.

Verständnis für ein Umdenken kommt mittlerweile auch aus Teilen der Immobilienwirtschaft. Torsten Flomm, Vorsitzender des Grundeigentümer-Verbandes Hamburg meinte etwa, die Hansestadt könne sich den Bau von Einfamilienhäusern auf freien Flächen gar nicht mehr leisten. Auch der Direktor des Verbandes Norddeutscher Wohnungsunternehmen, Andreas Breitner, pflichtet ihm mit einem Plädoyer für den Geschosswohnungsbau bei. Für Breitner ist der in Hamburg neu eingeschlagene Weg auch ein Zukunftswegweiser für Stadtmetropolen in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Ebenfalls Wohlwollen für einen Richtungswechsel signalisiert die Eigentümer-Interessengemeinschaft Haus und Grund in Schleswig-Holstein.

Zustimmung kommt ebenso vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland im Norden. Dieser erinnert daran, dass Schleswig-Holstein bundesweit zu den Ländern gehört, die am meisten Fläche versiegelt haben. Eine andauernde Ausweisung von Neubaugebieten auf der grünen Wiese sei daher keine erstrebenswerte Zukunftsvision. Niko Paech, Postwachstumsökonom an der Universität Siegen und Vordenker der Fridays for Future-Bewegung, spricht sich ebenfalls für einen Baustopp für Einfamilienhäuser aus.

Andreas Breitner (SPD) erklärt das Einfamilienhaus zum Auslaufmodell und erläutert seine Prognose mit folgendem Beispiel: »Auf einem Hektar können zehn Einfamilienhäuser mit Garten, 40 Reihenhäuser oder 250 Geschosswohnungen entstehen.« In die Grabenkampfhaltung begibt sich hingegen Oliver Luksic, FDP-Landesvorsitzender im Saarland, der von einem »Angriff auf privates Eigentum und Familien« spricht. Für den Hamburger Henneke Lütgerath, CDU-Wirtschaftsrat, würden SPD und Grüne mit der baupolitischen Wende im Bezirk Nord »ihre grundsätzliche Abneigung gegenüber Eigentum unter Beweis stellen«. Zugleich warnt er mit Blick auf die Bundestagswahl davor, den nun in Hamburg angefangenen Weg zu einer bundesweiten Blaupause werden zu lassen.

Die aktuelle Statistik zeigt unterdessen noch immer einen ungebrochenen Trend zum Einfamilienhaus. Der Baukulturbericht 2020/21 von der Bundesstiftung Baukultur weist, einhergehend mit der demografischen Bevölkerungsentwicklung, ansteigende Zahlen neu entstehender Einfamilienhäuser aus. Diese finden sich inzwischen überwiegend abseits der Ballungszentren, bedeuten aber auch eine stetig ansteigende Flächenversiegelung.

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