nd-aktuell.de / 20.02.2021 / Kommentare

Wie viel Bewusstsein darf’s denn sein?

Sieben Tage, sieben Nächte

Stephan Fischer

Ob Bertolt Brecht mit dem Ausspruch vom Fressen und der Moral recht hatte, können Sie leicht selbst prüfen. Es folgen drei Briefe - welchen würden Sie am liebsten erhalten?

Brief eins:

Absender: The kind company, Avenue Tax

perdu/Place Juncker, 12345 Luxemburg

Hej liebe/r Mietende* Müller*in,

Klimaschutz, Diversität und Geschlechtergerechtigkeit liegen uns am Herzen - wie Dir! Als globales Unternehmen feiern wir die Vielfalt in unseren tief verwurzelten und bunt zusammengewürfelten Communities jeden Tag. Als trans* und inter*(nationales) Unternehmen mit responsibility liegt uns der Planet am Herzen - we care! Mit Deiner Hilfe kann das gelingen. Deshalb steigt Deine Gute-Wohnen-Abgabe nun um jeweils nur fünf Prozent pro Woche. Zusammen können wir so viel für Klimaschutz, Diversität und LGBTIQ+-:-*-Gerechtigkeit erreichen - dank Dir sogar jede Woche mehr! PS: Du hast zu viel Platz in der Wohnung? Zeig uns den kreativen Spirit in Deinem Safe Space und werde Botschafter*in auf marketinggedöns@instabla.blabla

Brief zwei

Absender: Stadtverwaltung

Büro A38, 12345 Musterstadt

Liebe MitbürgerIn Müller,

Klimaschutz, Diversität und Geschlechtergerechtigkeit liegen uns am Herzen - wie allen MusterstädterInnen. Aber auch die Schwächsten dürfen wir nicht vergessen. Bilder wie aus Moria oder Bosnien wollen wir nicht sehen. Deshalb schauen wir weg unterstützt der Stadtrat die Initiative wirhabenplatz. Sie bewohnen drei Räume allein (§ 1, DatSchutzGes). Das ist auch im Sinne des ökologischen Fußabdrucks intolerabel (§ 138, 3 ÖkolFußGes). Es ergeht folgender Beschluss: Bis Montag, 22.02.21, 9 Uhr, haben sie in 1,27 Räumen Platz zu machen. Abtrennungen Ihrer Wohnbereiche durch beispielsweise Wäscheleinen (bio), sind in den ersten 72 Stunden zulässig. Gegen diesen Beschluss ist Widerspruch (§ 2, VersuchIstAberSinnlosGes) möglich: Schicken Sie einen Boten an zettelwirtschaft@faxgerät.de (Mo-Fr, 9-15 Uhr).

Brief drei

Absender: Hausverwaltung Maier

Gendernkannweg 3, 0815 Dunkelprovinz

Sehr geehrter Mieter Frau Müller,

bei der Nebenkostenabrechnung ist uns ein Fehler unterlaufen. Schicken Sie uns eine Bankverbindung samt Kontoinhaber, damit wir Ihnen die zu viel gezahlten 603,27 € überweisen können. Ihre Miete sinkt um 45,38 € pro Monat. Mit frdl. Grüßen, Maier. PS: Kein PS. Solange Sie pünktlich zahlen, interessiert uns der Rest nicht. Stephan Fischer