nd-aktuell.de / 23.02.2021 / Politik / Seite 5

Kritische Polizeiforscher unter Beschuss

Studie der Universität Bochum zur Gewalt der Uniformierten sollte durch Pressearbeit diskreditiert werden

Peter Nowak

»Seit über 15 Jahren setze ich mich als Führungskraft für die Weiterentwicklung der polizeilichen Bildung, die Förderung der Wissenschaftlichkeit sowie der Freiheit für Forschung und Lehre ein. Einer Selbstimmunisierung der Polizei trete ich daher entschieden entgegen. Dass in den letzten Wochen ein anderer Eindruck entstanden ist, bedauere ich zutiefst.« Mit dieser selbstkritischen Erklärung reagierte der Direktor der Hochschule der Polizei Rheinland-Pfalz (HdP RP), Friedel Durben, auf einen Offenen Brief, in dem zahlreiche Polizeiforscher*innen und Publizist*innen die Behinderung kritischer Polizeiforschung beklagen.

Die Unterzeichner*innen monieren, dass die Hochschule der Polizei Rheinland-Pfalz eine Mailkampagne gegen eine wissenschaftliche Studie zu Körperverletzung im Amt initiiert hat. Die Studie wird an der Bochumer Ruhr-Universität von Tobias Singelnstein, Laila Abdul-Rahman, Hannah Espín Grau und Luise Klaus durchgeführt. Bisher wurden zwei Zwischenberichte veröffentlicht. »Der Versuch einer polizeilichen Selbstimmunisierung gegen externe Forschung sowie die gezielte Verächtlichmachung einer Studie, deren Ergebnisse der HdP RP nicht gefallen, sind ein Angriff auf die Freiheit der Wissenschaft«, heißt es in dem Brief.

Schon in der Vergangenheit haben die Studien der Bochumer Kriminolog*innen zu einer kritischen Diskussion über Polizeigewalt in der Öffentlichkeit geführt. Das ist in der Polizeiführung nicht auf Sympathie gestoßen. Das Agieren der HdP RP schien sich in diese Tendenz der reflexhaften Abwehr von Kritik einzuordnen.

Besonders moniert wurde in dem Offenen Brief, dass die Mail an alle Verwaltungs- und Polizeihochschulen in der Bundesrepublik gegangen ist. Sie wurden dazu aufgerufen, durch konzertierte Pressearbeit und die Durchführung eigener Studien »gemeinsam die Interessen der Polizei [zu] wahren« und gegen die vermeintliche Schädigung des Rufes der Polizei durch die Bochumer Studie vorzugehen. »Eine kritische Auseinandersetzung mit der Studie ist natürlich notwendig und willkommen«, sagte der in München lehrende Polizeiforscher Roman Thurn, der den Offenen Brief mit initiiert hat, dem »nd«. Er kritisierte aber, dass in den Mails der Polizeihochschule in wissenschaftlich nicht haltbarer Weise die Repräsentativität der Bochumer Studie angezweifelt werde. Darauf wiesen auch die Autor*innen der Bochumer Studie in einer Erklärung hin. »Von einer repräsentativen Erhebung ist dort ausdrücklich nicht die Rede. Mit der Erhebung der subjektiven Deutung von Opfern bedient sich das Projekt einer etablierten Herangehensweise sozialwissenschaftlicher Forschung, um einen Beitrag zur Erhellung des Dunkelfeldes zu erbringen«, betonen Singelnstein, Abdul-Rahman, Espín Grau und Klaus.

Der an der Technischen Universität Berlin lehrende Sozialforscher Peter Ullrich, der ebenfalls zu den Initiator*innen des Offenen Briefes gehört, war überrascht von der schnellen Reaktion der Polizeihochschule. Im Gespräch mit dem »nd« warnte er aber davor, von einem grundsätzlichen Umdenken bei den Polizeihochschulen auszugehen. »Der Offene Brief wurde nicht nur von linken Forscher*innen, sondern auch von einer Reihe von Wissenschaftler*innen unterzeichnet, die seit Jahren für bürgerrechtliche Positionen bekannt sind«, betont Peter Ullrich. Zu diesen bürgerrechtlichen Stimmen gehört der Arbeitskreis Empirische Polizeiforschung, der ebenfalls die Mailkampagne der Polizeihochschule scharf kritisierte.

Das Einlenken der HdP RP könnte auch ein Indiz für einen gesellschaftlichen Wandel im Umgang mit der Polizei sein. Spätestens seit der Selbstenttarnung des rechtsterroristischen NSU hat sich auch in Teilen der liberalen Öffentlichkeit in Deutschland eine kritischere Haltung zur Polizei etabliert. Als Beispiel nennt Peter Ullrich der Hinweis des Deutschen Journalist*innenverbands (DJV), auch Meldungen der Polizei kritisch zu hinterfragen. Diese journalistische Selbstverständlichkeit ist längst noch nicht überall Konsens.