nd-aktuell.de / 03.03.2021 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 14

Agrarindustrie erhält Zugang zu indigenen Gebieten

Brasilien erlaubt den Anbau von großen Monokulturfeldern und industrieller Landwirtschaft in Schutzgebieten

Norbert Suchanek, Rio de Janeiro

Schutzgebiete für die indigene Bevölkerung sind der Agrarlobby Brasiliens seit Langem ein Dorn im Auge. In der brasilianischen Verfassung von 1988 wurde beschlossen, dass festgelegte Stammesgebiete ausschließlich zur Aufrechterhaltung von Kultur und traditionellen Lebensweisen der indigenen Völker dienen. Großflächige Abholzung, Bergbau und industrielle Landwirtschaft sind damit gesetzlich verboten. Damit soll jetzt Schluss sein. Brasiliens Behörde für die Angelegenheiten der indigenen Bevölkerung Brasiliens (Funai) hat zusammen mit der Umweltbehörde (Ibama) die landwirtschaftliche Nutzung, insbesondere den Anbau von Soja in Indianerreservaten freigegeben.

Brasilien hat 487 staatlich anerkannte Indigenen-Gebiete, die zusammen 13 Prozent der Landesfläche abdecken. Weitere 237 Stammesgebiete stehen auf der Warteliste zur Demarkierung, also zur Festlegung der Gebietsgrenzen, in denen sie laut Staatspräsident Jair Bolsonaro auch bleiben werden. Der rechtsextreme Politiker sieht die Gebiete der Indigenen als Hindernis für die Agrarwirtschaft des Landes, weshalb er während seiner Amtszeit kein weiteres Reservat anerkennen will. Am 22. Februar nun beschloss die Funai gemeinsam mit der Umweltbehörde eine Verordnung, die dem Agrobusiness erstmals legal Zugang zu den demarkierten indigenen Gebieten verschafft.

Die indigenen Völker können damit nicht nur selbst zum Agrarproduzenten werden, sondern auch unter der Kontrolle von Funai und Ibama Kooperationen mit nicht-indigenen Agrarunternehmen zum Anbau von Soja und anderen Nutzpflanzen eingehen.

Der Indigenen-Missionsrat Cimi kritisierte diese neue Verordnung in einer Pressemitteilung scharf, sie führe zu Völkermord und Waldzerstörung. Die Verordnung sei eine verfassungswidrige, gegen die indigenen Völker Brasiliens gerichtete »Falle« der Regierung Bolsonaros. Sie diene ausschließlich zur Ausbeutung der Reservate durch die Agrarindustrie und zur Zementierung eines ökologisch und sozial nicht nachhaltigen Entwicklungsmodells in den Indigenen-Territorien, so der stellvertretende Cimi-Sekretär Cleber César Buzatto.

Brasiliens Agrarlobby stellt sich hingegen hinter die für sie längst überfällige Entscheidung von Funai und Ibama. Die Erlaubnis zur landwirtschaftlichen Nutzung der Reservate werde auf dem Land Frieden bringen. »Wir wissen, dass wir Probleme mit der Besetzung indigener Flächen haben. Aber diese Verordnung schafft Frieden auf dem Land, weil Indigene und Agrarindustrie jetzt Partner der landwirtschaftlichen Produktion sind und gemeinsam zur nationalen Lebensmittelproduktion beitragen werden«, kommentierte Brasiliens renommierter Fernsehjournalist Alexandre Garcia des Fernsehsenders Canal Rural die Verordnung.

Tatsächlich haben sich Sojafarmer gegen den Willen der Indigenen wie im Falle des Marãiwatsede-Reservats der Xavante in Mato Grosso schon vor Jahren große Flächen unter den Nagel gerissen. Mehrere weitere indigene Völker wie die Irantxe und Nambikwara wiederum haben insgesamt 3,1 Millionen Hektar Land in 22 Schutzgebieten an Agrarbetriebe illegal verpachtet, so eine Erhebung der Funai aus dem Jahr 2018. Die Abmachungen in den laut Verfassung illegalen Abkommen zwischen ihnen und nicht-indigenen Agrarproduzenten reichten von monatlichen Pachtzahlungen bis hin zur Aufteilung der in den Reservaten produzierten Ernteerträge.

Anstatt diese illegale Nutzung der Schutzgebiete zu unterbinden, arbeitet die Indigenen-Behörde zusammen mit der Agrarforschungsbehörde Embrapa und der Universität von Mato Grosso schon seit Jahren daran, Indigene im Rahmen des Programms für »Ethnoentwicklung« in Agrarproduzenten zu verwandeln. Vorzeigeprojekt ist das 1,422 Millionen Hektar große Stammesgebiet Utiariti des Paresi-Volkes.

Mit Unterstützung und Segen von Funai und Ibama bauen die Paresi hier bereits auf mehr als 6000 Hektar Sojabohnen und Mais in Monokultur an. Der mechanisierte Anbau habe die Lebensqualität seines Volkes verbessert, sagte Paresi-Häuptling Ronaldo Zokezomaiake in einer Mitteilung der Indigenen-Behörde. Laut Bolsonaros Funai-Präsident Marcelo Xavier verdienten die Paresi mit dem Sojaanbau auf lediglich 1,5 Prozent ihres Territoriums rund 20 Millionen Reais pro Jahr. 2000 indigene Familien würden davon direkt profitierten.