nd-aktuell.de / 06.03.2021 / Sport / Seite 29

Die fünf Ringe der Angst

Immer wieder scheitern deutsche Olympiabewerbungen. Schuld haben aber stets andere

Oliver Kern

Ein «Schlag in die Magengrube» sei es gewesen. Oder aber der «Gipfel der Peinlichkeiten». Die Bewertung des wahrscheinlichen Scheiterns für die Olympiabewerbung der Rhein-Ruhr-Region für die Sommerspiele 2032 Ende Februar war auch in dieser Woche noch einmal Thema der Sportpolitik. Das Aus beschäftigte sogar den Deutschen Bundestag, in dessen Sportausschuss am vergangenen Mittwoch oben genannte Einschätzungen abgegeben wurden. Für die Gründe der nächsten erfolglosen deutschen Olympiabewerbung gab es verschiedene Erklärungsmuster und Schuldige: vom intransparenten Internationalen Olympischen Komitee (IOC) über den zu schlecht vernetzten Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) bis hin zu alte Fehler wiederholenden Bewerbern vor Ort in Nordrhein-Westfalen war alles dabei. An allem ist etwas dran, denn jede dieser Institutionen hat dazu beigetragen, dass Olympia 2032 wohl wieder nicht in Deutschland, sondern in Australien stattfinden wird.

Das IOC

Die Hüter der Ringe haben zwei schwierige Jahrzehnte hinter sich: Die Vergabe der Winterspiele 2002 an Salt Lake City war von Bestechung und Korruption geprägt. Olympia 2004 hinterließ einen riesigen Schuldenberg in Griechenland. Die Sommerspiele von 2008 in Peking wurden von Menschenrechtsdiskussionen überschattet, die 2012 in London von Debatten über Gentrifizierung. 2014 sorgte Russland in Sotschi mit Umweltsünden, Geldverschwendung und dem größten Dopingskandal der Geschichte für schlimme Schlagzeilen. Rio 2016 hinterließ ungenutzte Stadien, die Sommerspiele vier Jahre danach in Tokio mussten wegen der Corona-Pandemie verschoben werden und sind auch in diesem Sommer noch nicht gesichert. Weil die Bürger in westlichen Nationen irgendwann genug vom IOC und seinen Machenschaften hatten, blieb für die Winterspiele 2022 nur Peking als ernsthafter Bewerber übrig. Die nächste Menschenrechtsdebatte rund um die Behandlung der Uiguren in China steht dem IOC also schon bevor.

Nach gut 20 Jahren im dauerhaften PR-Krisenmodus ist es nur verständlich, dass das IOC unter dem deutschen Präsidenten Thomas Bach auf Sicherheit setzt. Als man 2017 die Sommerspiele des Jahres 2024 an Paris vergab und dadurch im Begriff war, mit Los Angeles erneut einen Verlierer zu produzieren, den man gern gehalten hätte, entschied das IOC kurzerhand, Olympia 2028 ohne Ausschreibung an die US-Amerikaner zu geben. Zweimal sicherer Westen: Was man hat, das hat man. Elf Jahre vor dem Entzünden der Flamme war zuvor noch nie ein Austragungsort bestimmt worden. Los Angeles sollte nicht die Chance gegeben werden, es sich noch mal anders zu überlegen.

Genau nach demselben Muster ging das IOC jetzt wieder vor. Frühzeitig wollte man mit potenziellen Gastgebern in einen Beratungsdialog eintreten, um nicht zu viele teure, aber erfolglose Bewerbungen zu verursachen. Das war lange eine Kritik am IOC. Wie entscheidend dieser Prozess ist, an dem sich offenbar nur die Australier mit Brisbane beteiligten, hatte das IOC aber nie transparent mitgeteilt. Wer die jüngere Geschichte verfolgt hat, hätte erahnen können, dass das IOC so verfahren wird: wieder elf Jahre vor den Spielen, wieder ein westlicher Bewerber mit einem guten Konzept, keine überbordenden Kosten, keine allzu großen Menschenrechtsverstöße und keine später leer stehenden Arenen. Warum also noch warten auf eine deutsche Bewerbung, die sich einfach nicht entscheiden kann, ob sie denn wirklich will?

Der DOSB

Auch im Deutschen Olympischen Sportbund regiert seit Jahren die Angst. Die letzten Bewerbungen Münchens (2022) und Hamburgs (2024) - und vorher auch ein zweiter Berliner Anlauf - scheiterten an verlorenen Bürgerbefragungen. Unter dem Eindruck von Korruption, ausufernden Kosten, intransparenten Entscheidungsprozessen, fehlender Beteiligung und Umweltzerstörung hatten die Deutschen keine Lust mehr auf Olympia. Zumindest nicht, wenn sie vor der eigenen Haustür stattfinden sollen. Diese Ablehnung hat tiefe Spuren beim DOSB hinterlassen.

Nach der gescheiterten Bewerbung Hamburgs zog der Verband die Notbremse und wollte zunächst keine weitere unterstützen. Vielmehr wurde gemeinsam mit dem Bundesministerium für Inneres und Sport (BMI) die Erstellung einer «Nationalen Strategie Sportgroßveranstaltungen» vereinbart, an der seit 15 Monaten gewerkelt wird und über die der Sportausschuss am Mittwoch debattierte. Darin werden Ziele formuliert, die mit derlei Events erreicht werden sollen: Impulse für Breiten-, Nachwuchs- und Spitzensport zum Beispiel. Oder die Werte des Sports in die Gesellschaft tragen, Nachhaltigkeit, Innovationsförderung - wohlklingende Plattitüden, die nicht neu sind in der Sportpolitikersprache.

«Die Risiken aber werden nur verschämt erwähnt», kritisierte Sylvia Schenk, Leiterin der Arbeitsgruppe Sport bei Transparency International Deutschland. Gut 100 verschiedene Gruppen und Einzelpersonen seien zwar an dem Entstehungsprozess beteiligt, oder besser: dafür angehört worden. «Aber in den Arbeitsgruppen saß dann keine davon», sagte Schenk. So sei die Strategie wieder nur ein Werk von DOSB und BMI geworden, keines der gesamten Zivilgesellschaft. Vertreter von Sportverband und Ministerien konterten, das Papier atme und könne noch verändert werden.

Auch eine bessere Vernetzung von deutschen Vertretern in internationalen Gremien wird angestrebt. Schließlich liegt hier eine Hauptkritik am DOSB für das wahrscheinliche Aus von «Rhein Ruhr City 2032». Der Verband habe seinen ehemaligen Präsidenten Bach an der Spitze des IOC. Wie konnte man dann die Dringlichkeit des Dialogprozesses verschlafen? NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) behauptete, der DOSB hätte kein Gespür, «was sich im IOC» tue.

Diesen Vorwurf wollte der deutsche Dachverband dann nicht auf sich sitzen lassen. Man habe dem Bewerber von Anfang an deutlich gemacht, dass es ohne eine erfolgreiche Bürgerbeteiligung keine offizielle Unterstützung vom DOSB geben werde, auch wenn man schon vorher mit den Organisatoren in Düsseldorf zusammenarbeite. Das IOC habe seinerseits nie erkennen lassen, dass eine solche offizielle Bewerbung schon jetzt nötig sei. Zudem habe das IOC laut DOSB-Präsident Alfons Hörmann «Falschaussagen» mit der Behauptung getroffen, der DOSB habe sich im Februar explizit «gegen einen Eintritt in den »continuous dialogue« entschieden. Tatsächlich ruderte das IOC zuletzt etwas zurück: Im Februar habe es kein Treffen mehr mit dem DOSB gegeben. Der neue Auswahl- und Dialogprozess sei den Deutschen aber bekannt gewesen.

Im Bundestag verteidigte DOSB-Vize Kaweh Niroomand dennoch das zögerliche Vorgehen des Verbandes: »Wir haben unseren Stand dem IOC mittgeteilt, und die Reaktion war nicht: Ihr seid jetzt zu spät. Das Bewerbungskonzept war noch nicht fertiggestellt. Das weiß Herr Laschet auch«, so Niroomand. Im September hätten die Bürger über ein dann fertiges Konzept samt Finanzierungsplan für die Spiele abstimmen sollen. Und nach einem positiven Ausgang hätte sich der DOSB beim IOC auch beworben. Für eine andere Reihenfolge wäre man ebenso heftig kritisiert worden, meinte Niroomand: »Ohne Bürgerbefragung wollt ihr euch bewerben? Ohne Konzept? Die Finanzierung steht noch nicht. Was für Amateure seid ihr? Das wäre die Reaktion gewesen. Und jetzt kommen die Kritiker aus der anderen Ecke.«

Die Bewerber aus NRW

Besonders Initiator Michael Mronz steht nun als Verlierer da. Just in der Woche, in der er verkünden wollte, dass man den Bürgern einen genauen Plan samt Finanzkonzept zur Abstimmung stellen werde, wurde seiner privatwirtschaftlichen Initiative der Stecker gezogen. Dabei hatte seine Idee starke Argumente. 90 Prozent der Sportstätten seien schon vorhanden, betonte er immer wieder, mehr als zehn sonst oft zerstrittene Kommunen habe er vereint. Für das Ruhrgebiet bestünden zudem tolle Entwicklungschancen im öffentlichen Nahverkehr und dem Wohnungsbau. Natürlich ließ er Gegenargumente gern weg. Das Fehlen eines großen Olympia- und Leichtathletikstadions etwa. Oder aber er wiederholte die übliche Überhöhung dieses Sportereignisses. »Olympische Spiele sind kein Motor der nachhaltigen Stadtentwicklung«, stellte Tilmann Heuser, Geschäftsführer des Umweltverbands BUND Berlin klar. »Ein gutes öffentliches Nahverkehrssystem ist Aufgabe der Politik - mit oder ohne Olympische Spiele. Auch ein Abfallkonzept. Das sportliche Event rettet doch nicht die Stadt. Es muss stattdessen in diesen Konzepten stattfinden können.«

Brisbane ist jetzt der klare Favorit des IOC. Kaum jemand befürwortet Olympia 2036 in Deutschland, genau 100 Jahre nach den Nazispielen von Berlin. Und 2040 ist zu weit weg. Mronz wusste, dass 2032 seine beste Chance war. Enttäuscht warf er dem DOSB nun vor, zu zögerlich und mutlos agiert zu haben. Dabei hat auch er selbst die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Der DOSB ließ sich nicht wieder zu früh in eine Ecke drängen. »Wir wissen nicht, wann das IOC eine Entscheidung treffen wird. Der neue Vergabeprozess ist nicht eindeutig«, hatte DOSB-Vorstandsvorsitzende Veronika Rücker schon im Oktober 2019 gegenüber »nd« gesagt. Ebenso, dass es ohne positives Bürgervotum keine Bewerbung geben werde. Das IOC setzte hingegen auf Schnelligkeit. In diesem Umfeld hatte eine deutsche Bewerbung kaum eine Chance. Mronz hat es trotzdem versucht und muss nun mit seinem Scheitern leben.

Da scheint eine langfristige nationale Strategie sinnvoller zu sein. Entwickelt allerdings nicht nur von DOSB und BMI, sondern mit Menschenrechtsorganisationen, Umweltschutzverbänden und Athleten, bei denen die Kompetenz liegt, wie man Kommunen und Veranstaltern hilft, Mindeststandards und Nachhaltigkeitskonzepte sinnvoll mit sportlichen Wettbewerben zu vereinen. So ließe sich auch die Zivilgesellschaft von den Spielen überzeugen. Wenn es dann noch kompetente und vernetzte Vertreter in internationalen Entscheidungsgremien gäbe, stünden die Chancen auf Olympia in Deutschland deutlich besser.