nd-aktuell.de / 11.03.2021 / Gesund leben / Seite 7

Was der Atem verrät

Substanzen in der ausgeatmeten Luft lassen auf Krankheiten schließen - Wissenschaftler weltweit arbeiten an Tests zur Früherkennung

Angela Stoll

Der Atem eines Menschen ist verräterisch. Er offenbart nicht nur, ob jemand Knoblauch gegessen hat, sondern deutet auch auf Krankheiten hin. So lohnt sich bei fauligem Atem der Blick in den Rachen: Möglicherweise steckt eine eitrige Mandelentzündung dahinter. Ein süßlicher Geruch, der an überreifes Obst erinnert, kann auf Diabetes hinweisen: Dafür verantwortlich ist das Stoffwechselprodukt Aceton, das unter anderem bei Insulinmangel im Körper entsteht. Daneben gibt es viele andere Substanzen in der Atemluft, die für Krankheiten charakteristisch sind - nur können Menschen sie normalerweise nicht erriechen. Dafür aber Tiere. Ratten zum Beispiel können Tuberkulose und Hunde mitunter Krebs erschnüffeln.

Einfacher zu handhaben sind technische Alternativen, etwa »elektronische Nasen«, an denen seit rund 30 Jahren geforscht wird. Derzeit arbeiten weltweit Wissenschaftler-Teams an verschiedenen Verfahren, mit denen sich Substanzen in der Atemluft bestimmen und in Bezug zu Krankheiten setzen lassen. Noch wird die Atemluftanalyse zu diagnostischen Zwecken wenig genutzt, doch das soll sich bald ändern. »In den vergangenen zehn Jahren hat die Forschung begonnen, an Fahrt aufzunehmen«, berichtet die Chemikerin Jessy Schönfelder vom Fraunhofer-Projektzentrum MEOS in Erfurt. Die Wissenschaftlerin und ihr Team arbeiten an einer neuen Technologie, mit der sich flüchtige organische Verbindungen in der Atemluft identifizieren lassen. Solche gasförmigen Stoffe werden bei einigen Krankheiten freigesetzt. Allerdings lässt sich nur selten eine Substanz einer bestimmten Krankheit zuordnen. Vielmehr ist die Zusammensetzung der Gase aufschlussreich: »Oftmals sind es Kombinationen aus mehreren Spurengasen in einer deutlich erhöhten oder deutlich erniedrigten Konzentration, die charakteristisch für eine bestimmte Krankheit sind.«

Schönfelder nutzt dazu ein Ionenmobilitätsspektrometer. »Solche Geräte werden auch an Flughäfen eingesetzt, um Sprengstoff aufzuspüren«, erzählt die Wissenschaftlerin. Dazu werden zum Beispiel Wischtests, die am Gepäck genommen werden, auf verdächtige Substanzen geprüft. Nach diesem Prinzip lassen sich auch Atemproben analysieren. Das geschieht entweder über ein Röhrchen, in das die Testperson ausatmet. Die Ausatemluft kann aber auch direkt vom Atemstrom der Person in das Messgerät gesaugt werden. Dann werden die gasförmigen Teilchen in ein Spektrometer gepumpt und mithilfe einer UV-Lampe elektrisch aufgeladen. Je nach Größe und Form bewegen sich die Moleküle unterschiedlich schnell im elektrischen Feld und lassen sich dadurch voneinander trennen und erkennen. Auffälligkeiten, etwa eine besonders hohe Konzentration bestimmter Ionen, kann man bestimmten Krankheiten zuordnen. Um die hohen Datenmengen, die dabei entstehen, auszuwerten, setzen die Forscher auf »maschinelles Lernen«. Dazu werden Proben von gesunden und kranken Personen ausgewertet, sodass der Computer bestimmte Muster erkennt. »Wie zuverlässig das Verfahren letztendlich ist, muss sich noch zeigen«, sagt Schönfelder. Möglicherweise liefert der Test nur einen ersten Hinweis auf eine Krankheit und muss durch weitere Untersuchungen abgesichert werden. Denkbar ist aber auch ein relativ genaues Ergebnis.

Solche Verfahren könnten insbesondere bei der Früherkennung von Krebs hilfreich sein, da sie schnell, einfach und relativ preiswert sind. Besonders intensiv wird im Bereich Lungenkrebs geforscht, weil er im Frühstadium kaum Beschwerden macht und daher meist erst spät erkannt wird. So haben etwa Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim einen Test entwickelt, der Lungenkrebs offenbar mit hoher Treffsicherheit anhand einer Atemluftanalyse erkennen kann. Dabei wird Atemkondensat mit einem molekularbiologischen Verfahren untersucht. Damit lassen sich bestimmte Gene nachweisen, die in Lungenkrebszellen aktiv sind. Nach Angaben des Deutschen Zentrums für Lungenforschung laufen derzeit klinische Studien, in denen diese neue Methode verwendet wird. Daneben gibt es einige andere Verfahren zur Atemluftanalyse, die ebenfalls der Krebsfrüherkennung dienen sollen, etwa bei Brustkrebs.

Sogar neurologischen Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson könnte man eines Tages über die Atemluft auf die Spur kommen. Greifbarer ist aber die Nutzung solcher Methoden für die Erkennung des Coronavirus. Hier sind Forscher schon weit gediehen. Einer davon ist der Pathophysiologe und Umweltmediziner Gunther Becher von der Firma BecherConsult in Bernau, der ein Ionenmobilitätsspektrometer zur Atemluftanalyse entwickelt hat, das unter anderem Hinweise auf Infektionen wie mit dem Coronavirus liefern kann. Das Verfahren ähnelt dem, an dem Schönfelder arbeitet. »Das technische Gerät ist fertig«, sagt er. Allerdings müssten im Rahmen von Studien noch mehr Daten erhoben und in die Lernsoftware des Geräts eingespeist werden, damit es zuverlässige Ergebnisse liefern kann. »Es gibt fünf, sechs Geräte, die derzeit getestet werden«, berichtet er. Das Auswerteprinzip für die Spektrenanalyse sei als Europapatent angemeldet. »Wir brauchen aber mehr Patienten.« Derzeit seien Kliniken mit Covid 19-Patienten aber oft zu überlastet, um im größeren Stil Testreihen durchführen zu können.

Auch viele andere Infektionen könnte das System rasch erkennen, etwa Influenza oder eine Besiedlung mit multiresistenten Bakterien. So könnte es etwa im Empfangsbereich einer Klinik gute Dienste erweisen, indem es betroffene Besucher rasch identifiziert, meint Becher. »Dadurch wäre eine sehr viel schnellere Diagnose möglich. Sonst müssen nämlich erst Proben aufwändig im Labor bearbeitet werden.« Auch die Schnelltests benötigten mehr Zeit und vor allem geschultes Personal. Wann solche Methoden im klinischen Alltag ankommen werden, ist unklar. Ansätze gibt es viele, doch sind die meisten von ihnen noch nicht in großen Studien getestet. Wenn sie zuverlässig funktionieren, so haben sie für Patienten zumindest zwei große Vorteile gegenüber invasiven Verfahren: Sie tun nicht weh und sind komplett ungefährlich.