nd-aktuell.de / 17.03.2021 / Kultur / Seite 7

Aposterioprismically

Shamrock und Absinth zu Ehren von St. Patrick. Wahrheit und Dichtung über den Schutzheiligen der Iren

Jürgen Schneider

Am 17. März 1903 schrieb der Student James Joyce aus Paris nachmittags an seine Mutter in Dublin: »Ich dachte, jemand würde mir Shamrocks schicken. Immerhin brachte mir Mr. Casey welche. Es ist ein Jammer, dass ich keinen Abendanzug habe, da er eine Einladung zum Irischen Ball heute Abend in der Salle Hoche hatte. So bewege ich mich immer am Rande der Dinge.«

Der 17. März ist St. Patrick’s Day, ein Hochfest für Irlands Schutzheiligen. Jener soll dort an jenem Tag Anno Domini 461 oder 493 das Zeitliche gesegnet haben. Der der Legende nach aus dem im Westen des römischen Britannien gelegenen, aber nicht zu lokalisierenden Bannavem Taberniae stammende Magonus Sucatus Patricius soll die Grüne Insel ab dem Jahre 432 mithilfe des dreiblättrigen Kleeblattes (Trifolium) christianisiert, den heidnischen Iren mit diesem das Geheimnis der Dreifaltigkeit nahegebracht haben. Dessen englische Bezeichnung »Shamrock« geht auf das arabische Wort »Shamrakh« zurück.

1942 stellte T. F. O’Rahilly die These von zwei Patricks auf: Patrick senior, gestorben 461, und Patrick junior oder Patrick von Armagh, der 493 verschieden sein soll. Die These von den zwei Patricks, so Bob Quinn in seinem Werk »The Atlantean«, in dem er die frühen maritimen Verbindungen Irlands untersucht, werde die Ägypter und Libanesen gefreut haben, die jeweils für sich beanspruchen, einen Sankt Patrick nach Irland geschickt zu haben.

Als die Wundertat Patricks gilt die Vertreibung der Schlangen aus Irland. Religiöse Legende und zoologische Wirklichkeit fügen sich hier zusammen, denn die grüne Insel ist wegen des frühzeitigen Abbruchs der Landverbindung zwischen Irland und England frei von Reptilien und Amphibien jeder Art, mit Ausnahme der nicht zu fürchtenden Eidechse und des Wassermolchs. Wissenschaftler haben die Geschichte von der Schlangenvertreibung als Mythos abgetan, so Dr. Selmar Eckleben, der 1885 in seiner Untersuchung »Die älteste Schilderung vom Fegefeuer des heil. Patricius« schrieb: »Ich möchte die Vertreibung der dem Heiligen widerstrebenden bösen Geister und giftigen Würmer, deren Vertreibung ihm Herzenssache war, für eine allmähliche Mythenbildung erklären und in jenen die Druiden wiedererkennen, die ihm bei der Bekehrung Irlands viel zu schaffen machten.«

Bob Quinn notiert in »The Atlantean«, in Nordafrika hätten einst die Ophiten oder Naasener gewirkt, Angehörige einer Sekte, die der Schlange im Paradies göttliche Natur zuschrieb. Galt Patricks Zorn also dieser Sekte? In »Sacred Drift - Essays on the Margins of Islam« führt Peter Lamborn Wilson (alias Hakim Bey) aus, die Legende von der Schlangenvertreibung kaschiere die wirkliche Geschichte - die Vertreibung der Mauren von der Insel. 1929, so Wilson weiter, sei in Chicago der St. Patrick’s Day als »Moorish Tag Day« begangen worden, an dem »Tags« (kleine Schildchen) für wohltätige Zwecke verkauft worden seien.

James Joyce war zeitlebens fasziniert vom Heiligen Patrick. In seinem berühmten Roman »Ulysses« merkt er an: »Clever idea Saint Patrick the shamrock.« Als der junge James in Paris weilte, um Medizin zu studieren, traf er sich häufiger in dem kleinen Bistro »Des Deux-Ecus« mit Joseph Casey. Dieser hatte bereits in den 1880er Jahren mit seinem Bruder Patrick und seinem Freund Eugene Davis Feiern zu Ehren des Heiligen Patrick organisiert. Eugene Davis war Nationalist, Poet und Journalist, der unter anderem für die Zeitung »Shamrock« schrieb.

Die Casey-Brüder waren einstige Aktivisten der Irish Republican Brotherhood (Irische Republikanische Bruderschaft, IRB) und lebten im französischen Exil. Die »New York Times« berichtete am 22. April 1884 unter der Überschrift »Irish Agitators in Paris - Their Views on the Dynamite Warfare«: »Joseph Casey ist ein vehementer Befürworter der Dynamit-Politik.« Die IRB war am 17. März 1858 von einem John O’Mahony sowie Caseys Vetter und Taufpaten James Stephens gegründet worden mit dem Ziel, die englischen Besatzer mit Gewalt von der Grünen Insel zu vertreiben und eine irische Republik zu errichten. Der auch Fenier-Bewegung genannten IRB widmete Joyce 1907 (in dem Jahr, in dem Joseph Casey vermutlich starb) einen Text. Darin heißt es, die Bewegung sei »nicht einer der üblichen keltischen Temperamentsblitze, die den Schatten einen Augenblick lang erhellen und eine Dunkelheit hinterlassen, die schwärzer ist als zuvor«. Joseph Casey hat vermutlich am 17. März 1903 mit Joyce den 45. Geburtstag der IRB gefeiert. Schon seltsam, dass zwei irische Nonkonformisten einem katholischen Heiligen huldigen, über dessen Existenz bis heute gestritten wird.

Casey hatte sich in England der IRB angeschlossen. Dort saß er wegen des Vorwurfs der Gefangenbefreiung von zwei seiner Genossen aus den Klauen der englischen Polizei und des Mordes an einem Polizisten im Clerkenwell-Gefängnis ein. Als am 13. Dezember 1867 eine Bombe explodierte, eine Knastmauer zum Einsturz brachte sowie einige Wohnhäuser in der näheren Umgebung schwer beschädigte und zwölf Menschen ums Leben kamen, war er mit den anderen Gefangenen schon weggebracht worden. Die Gefängnisverwaltung hatte offenbar von dem Vorhaben Wind bekommen und die Häftlinge verlegt, sodass sie nicht befreit wurden. Der zu jener Zeit in London residierende Karl Marx schrieb am nächsten Tag an Friedrich »Fred« Engels: »Dieser letzte Fenianexploit in Clerkenwell ist eine große Dummheit. Die Londoner Massen, die viel Sympathie mit Irland gezeigt haben, werden dadurch wild gemacht und der Regierungspartei in die Arme geworfen. Man kann nicht erwarten, dass die Londoner Proletarier sich zu Ehren von Fenian emissaries in die Luft sprengen lassen. Es hängt überhaupt eine Fatalität an solcher geheimen, melodramatischen Verschwörungsart.«

Joseph Casey wurde 1868 freigesprochen und setzte sich nach Paris ab, wo er später als Schriftsetzer für die Pariser Ausgabe des »New York Herald« arbeitete. Sein Bruder Patrick wurde 1893 im Dubliner Stadtviertel Cabra ein Nachbar von John Stanislaus Joyce, dem Vater von James Joyce. Dieser gab seinem Sohn die Anschrift von Joseph Casey, als James sich nach Paris begab. Die Verbindung von Joyces Vater zur IRB, von der in der Familie nie gesprochen wurde, reichte zurück bis in die 1860er Jahre, als in Cork bei John Daly, einem Onkel von John Stanislaus, Waffen der IRB zwischengelagert wurden.

Als Kevin Egan hat James Joyce den alten Fenier Joseph Casey im »Ulysses« verewigt. »Im heitren Parrih versteckt er sich nun, Egan von Paris, von keinem mehr aufgesucht außer von mir«, lässt Joyce seinen Stephen sinnieren, der Egan mit dem »froschgrünen Absinth« in Verbindung bringt: »Kevin Egan dreht Dynamit-Zigaretten zwischen Fingern, die von Druckerschwärze verschmiert sind, seinen grünen Sorgenbrecher süffelnd.« Im Original ist der Sorgenbrecher »his green fairy« (seine grüne Fee), nach der französischen Bezeichnung für Absinth: la fée verte. Im halluzinatorischen Taumel der in einem Bordell angesiedelten »Circe«-Episode nimmt Joyce Bezug auf die Clerkenwell-Explosion und lässt Stephen mit einem Eschenstock einen Kandelaber kaputt schlagen: »zerschmettertes Glas und stürzendes Mauerwerk«. Der Pflastertreter Leopold Bloom versucht derweil die anwesenden englischen Soldaten zu besänftigen, indem er ihnen erklärt, Stephen habe ein bisschen mehr intus, als gut für ihn sei: »Absinth. Grünäugiges Monster.«

Im letzten Opus von Joyce, »Finnegans Wake«, wird Shamrock zu einem synthetischen »Shammyrag« und St. Patrick liebevoll zu »Patfella«, der in diesem Nachtbuch mit dem Anbruch des neuen Tages und damit des Neuen überhaupt verwoben ist - angekündigt vom durch ein Buntglasfenster einfallenden Morgenlicht. In der Debatte mit dem Erz-Druiden spricht St. Patrick unter anderem die Sprache des Landes der aufgehenden Sonne und erklärt, es gebe kein Ding an sich: »aposterioprismically« (aposteriorisch - aus der Erfahrung gewonnen).

Padraic Colum, Kollege und Freund von Joyce, berichtet, dieser habe gerne den Wein »Clos de Saint Patrice« kredenzt und als einzigen Heiligen St. Patrick gepriesen, weil dieser bescheiden und aufrichtig gewesen sei. Der Schweizer Literaturprofessor Jacques Mercanton schildert, wie Joyce am Quai von Lutry saß und betont habe, ohne die Hilfe seines Heiligen hätte er bei der Arbeit an »Finnegans Wake« nicht durchhalten können. Nachdem er sich erhoben hatte, soll Joyce erklärt haben: »I follow Saint Patrick.« Nach Joyces Tod fanden sich auf seinem Schreibtisch ein griechisches Lexikon und das Buch »I follow Saint Patrick«.