nd-aktuell.de / 20.03.2021 / Berlin / Seite 10

Ausbildung statt Abschiebung

Brandenburgs Grüne wollen Aufenthaltsgesetz zugunsten der Flüchtlinge auslegen.

Andreas Fritsche

Die Michendorfer Firma meetB beliefert Rettungsdienste, Kliniken, Arztpraxen, die Feuerwehr und den Katastrophenschutz seit mehr als 20 Jahren mit Ausrüstung für die Notfallmedizin. Der Außendienst kümmert sich auch um Wartung und Reparatur. 5000 Erzeugnisse gehören zur Produktpalette, darunter auch einige selbst entwickelte wie zum Beispiel spezielle Schutzhandschuhe. Zu den 70 Mitarbeitern zählen vier Auszubildende, darunter zwei Flüchtlinge. »Mit den jungen Männern haben wir gute Erfahrungen gemacht«, sagt Geschäftsführer Ulf Stolte. Man sei da auch gut durch die Industrie- und Handelskammer beraten worden. Nur die Ausländerbehörde des Landkreises Potsdam-Mittelmark mache Schwierigkeiten.

Davon kann Maya ein Lied singen. Die junge Frau flüchtete aus Somalia und lebt in Beelitz-Heilstätten - hat das zweite Lehrjahr ihrer Ausbildung zur Krankenschwester fast abgeschlossen. Bis sie anfangen durfte, vergingen sechs Monate. So lange dauerte es, bis sie von der Ausländerbehörde die Erlaubnis erhielt. Ein Leidensgenosse von ihr hatte schon eine Lehrstelle als Mechaniker in Aussicht, bekam aber kein grünes Licht von der Behörde. Darum zerschlug sich die Ausbildung. Nun ist er in einem Berufsvorbereitungskurs und möchte Tischler werden.

Dabei werden Pflegekräfte und Handwerker in Brandenburg dringend gesucht. In diesen Branchen herrscht eklatanter Fachkräftemangel. »Die Integration von Flüchtlingen könnte ein Teil der Lösung sein«, glaubt der Landtagsabgeordnete Heiner Klemp (Grüne). Er ist wirtschaftspolitischer Sprecher seiner Fraktion. Klemp hat schon vor seiner Zeit im Parlament erfahren, wie hoch die Hürden sind. Er wollte einem Flüchtling ein Praktikum ermöglichen. Das war so aufwendig, dass er sich fragte: »Wer macht das denn?«

Es kommt vor, dass Flüchtlinge abgeschoben werden, bevor sie wenigstens ihre Ausbildung beendet haben. Das macht nicht nur den Geflüchteten Angst. Es beunruhigt auch die Firmen, die sie eingestellt haben.

Was ließe sich tun, um hier Sicherheit zu bieten? Die Grünen suchen eine Antwort auf diese Frage. Am Donnerstagabend diskutieren sie das bei einer Videokonferenz mit 87 Teilnehmern, die auf verschiedene Weise mit dem Thema zu tun haben. Geschäftsführer Stolte haben sie eingeladen und Natalja Kugler, die seit 2016 als Willkommenslotsin bei der Handwerkskammer Frankfurt (Oder) tätig ist. Sie sortiert Bewerbungen vor und präsentiert den Personalchefs eine Auswahl. Die seien »aufgeschlossen« für die Beschäftigung von Flüchtlingen, sagt Kugler. 185 Lehrlinge konnte sie bereits vermitteln. Eng kann es aber werden, sobald die Asylanträge abgelehnt sind. Erst sechs Betroffene erhielten dann eine sogenannte Ausbildungsduldung, sagt Kugler.

Das Hauptproblem seien ungeklärte oder nicht hinreichend geklärte Identitäten, bedauert Jan Bolduan. Er arbeitet als Sachgebietsleiter der Ausländerbehörde des Landkreises Dahme-Spreewald. Wenn ein Geflüchteter einen Ausbildungsvertrag und seinen Reisepass vorlegen könne, bekomme er in der Regel eine Duldung - jedenfalls in Dahme-Spreewald. Bei einem Somalier würde anstelle eines Passes eine Bestätigung der Botschaft genügen.

Diese Aussage sorgt im Chat der Videokonferenz für Wirbel. Eine Reihe von Gegenbeispielen wird genannt. Jemand fragt Bolduan: »In welcher Welt leben Sie?«

Die Landesintegrationsbeauftragte Doris Lemmermeier bestätigt: Es gab Fälle, in denen die Ausbildung wegen angeblich fehlender Mitwirkung bei der Feststellung der Identität abgebrochen werden musste - nicht in Dahme-Spreewald, aber anderswo.

Das Land Bremen meint, einen Spielraum in Paragraf 25b des Aufenthaltsgesetzes entdeckt zu haben und nutzte ihn vor einem halben Jahr per Erlass. Unter Umständen können Geflüchtete unter 27 Jahren demnach bereits nach vier Jahren in Deutschland statt erst nach acht Jahren eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Wilko Zicht, Referent der Grünen in der Bremischen Bürgerschaft, erläutert am Donnerstag seinen Parteifreunden in Brandenburg und ihren Gästen die Details. Das Bundesinnenministerium habe zwar in einem Schreiben die Meinung vertreten, das Vorgehen stehe nicht im Einklang mit dem Gesetz. Doch den rot-rot-grünen Senat ficht das vorerst nicht an. Man werde in einer freundlichen Antwort die gegenteilige Ansicht begründen, kündigt Zicht an. »Wir sind guter Dinge und der Meinung, dass wir uns an Recht und Gesetz halten.«

Die brandenburgische Landtagsabgeordnete Carla Kniestedt (Grüne) ist interessiert an dem Modell. Sie schließt die Debatte nach rund anderthalb Stunden mit den Worten: »Der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt. Für mich war das heute so ein erster Schritt.«

»Grundsätzlich ist es immer gut, wenn bestehende Spielräume des Aufenthaltsrechts auf Länderebene zugunsten der Geflüchteten ausgestaltet werden«, sagt am Freitag Andrea Johlige von der oppositionellen Linksfraktion. »Ich bin gespannt, ob die Grünen das gegen ihre Koalitionspartner SPD und CDU durchgesetzt bekommen.« Johlige stellte eine parlamentarische Anfrage. Sie will wissen, welche Regelungen die Landesregierung zur Ausgestaltung von Paragraf 25b des Aufenthaltsgesetzes plant. Die Antwort steht noch aus.