Im Äther der Revolte

Die Brecht-Tage senden vier Tage aus dem Funkhaus Commune

  • Jakob Hayner
  • Lesedauer: 2 Min.

Im Literaturforum im Brecht-Haus in der Berliner Chausseestraße wurden Barrikaden errichtet, am Rande das Porträt des Namenspatrons und früheren Bewohners. Brecht gefällt das, würde man wohl im Jargon des Internetzeitalters sagen. Doch befinden wir uns in Deutschland, die Revolution findet hier aufgrund ungünstiger politischer Witterung noch immer in der Kunst statt, lässt sich mit Tucholsky spotten. Die Barrikaden sind natürlich eine Kunstinstallation, das aufgerissene Straßenpflaster ist nur aus Pappe (und die Chausseestraße sowieso längst asphaltiert). Als Kulisse haben sich die diesjährigen Brecht-Tage die Pariser Kommune gewählt, die Barrikadenlandschaft stellt das Studio des Funkhauses Commune dar, das am vergangenen Donnerstag für vier Tage auf Sendung ging. Zuschalten konnte man sich über die bekannte Videoplattform eines kalifornischen Tech-Konzerns. Nicht nur in die Kunst, auch ins Digitale wurde die Revolte also verlagert.

Organisiert haben die diesjährigen Brecht-Tage - die seit 1978 üblicherweise um den Geburtstag Brechts am 10. Februar herum stattfinden, dieses Jahr aber verschoben wurden - Luise Meier und Florian Thamer, geboren 1985 und 1981. Beide kommen vom Theater und von der Theaterwissenschaft. Darin kann man unschwer einen Generationenwechsel erkennen. Der sich auch inhaltlich niederschlägt: Statt der Brecht-Forschung, ein Archiveinblick von Erdmut Wizisla mal ausgenommen, geben nun aktivistische Beiträge den Takt vor: Workshops, Performances, Lectures, die sich mit der Pariser Kommune vor 150 Jahren und Brechts Stück »Die Tage der Kommune« auseinandersetzen. Zu sehen gab es, mit profunder Einführung von Erik Zielke, den sowjetischen Stummfilm »Das neue Babylon«, der großartige Kommune-Film von Peter Watkins, ein Meisterwerk in der Tradition Brechts, schaffte es leider nicht ins Programm.

Gesucht wurden zahlreiche Bezüge zur Gegenwart, wie zur Kampagne »Deutsche Wohnen & Co enteignen« oder zu den Kurden in Rojava. Wohnungsnot, Armut, Ausbeutung und imperialistische Kriege haben sich seit 150 Jahren nicht erledigt. Auch ein Tutorial mit Instruktionen für den Aufstand fehlte nicht. Zwischendrin verlosten die Organisatoren im Studio sitzend T-Shirts mit Kommune-Logo, ein Hauch von Teleshopping lag über den Barrikaden. Im Anschluss an die von Meier und Thamer ins Feld geführte »digitale Kommune« wäre Brechts Radiotheorie in Erinnerung zu rufen. Dort heißt es: »Aber es ist keineswegs unsere Aufgabe, die ideologischen Institute auf der Basis der gegebenen Gesellschaftsordnung, durch Neuerungen zu erneuern, sondern durch unsere Neuerungen haben wir sie zur Aufgabe ihrer Basis zu bewegen. Also für Neuerungen, gegen Erneuerung!« Eine Auseinandersetzung mit den ideologischen Instituten der sogenannten sozialen Medien wie der Digitalisierung des Lebens überhaupt wäre ein weiteres aktuelles Thema im Sinne Brechts.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal