Die Bilder der Ausgereisten

Provenienzforscher untersuchen verstärkt den Entzug von Kulturgut in der DDR

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 5 Min.

Im Rathaus der DDR-Kreisstadt Güstrow hing einige Jahre lang ein Gemälde des dänischen Malers Christian Blache, das laut Titel die »Brandung vor Bornholm« darstellte. Dass sich die Stadtverwaltung mit dem Bild schmücken konnte, lag daran, dass seine rechtmäßigen Besitzer das Land verlassen hatten. Am 14. März 1953 war die Familie heimlich in der mecklenburgischen Stadt aufgebrochen, mit dem Zug nach Berlin gefahren und in den Westen gegangen. Ihre Hinterlassenschaften wurden versteigert; das Gemälde kam ins Rathaus. »Vielleicht brauchte man dort etwas Repräsentatives«, sagt der Rostocker Historiker Reno Stutz. Später hing das Bild im örtlichen Museum.

Stutz und seine Kollegin Antje Strahl haben Fälle wie den aus Güstrow in einem Forschungsprojekt untersucht. Es ging der Frage nach, wie mit Kunst- und Kulturgut aus dem Besitz von Menschen umgegangen wurde, die aus der DDR ausreisten. Die so genannte »Republikflucht« sei eigentlich ein gut erforschtes Phänomen, sagt Stutz. Auch über den Verbleib von Immobilien oder Firmen ist vieles bekannt. Dagegen wusste man bisher wenig darüber, wie Behörden mit Hinterlassenschaften wie Gemälden, Skulpturen oder historischen Möbeln verfuhren. Die Frage ist nicht zuletzt deshalb von Interesse, weil nicht auszuschließen ist, dass Kunstgegenstände in Museen landeten - und sich dort, ohne dass dies bekannt wäre, noch immer befinden.

Förderung für das Forschungsprojekt, das im Februar 2021 endete, kam deshalb vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste (DZK). Die 2015 gegründete und in Magdeburg ansässige Institution unterstützt Recherchen zur Provenienz, also der Herkunft von unrechtmäßig entzogenem Kulturgut. Im Mittelpunkt steht dabei NS-Raubkunst; Kulturgut, das die NS-Machthaber jüdischen Sammlern abpressten oder bei politischen Gegnern beschlagnahmten. Für Forschungen dazu stehen in diesem Jahr fünf Millionen Euro zur Verfügung. Ein zweites Arbeitsfeld sind Gegenstände aus kolonialen Kontexten, die sich in deutschen Museen und Sammlungen befinden. Ein drittes ist seit 2017 der Kulturgutentzug in sowjetischer Besatzungszone (SBZ) und DDR. Dem Thema widmete das DZK Ende 2020 seine jüngste Jahrestagung.

In diesem Bereich werden bisher keine konkreten Recherchen in Museen gefördert, sagt Gilbert Lupfer, Vorstand des DZK: »Wir betreiben zunächst Grundlagenforschung.« Geklärt werden soll, in welchen Zusammenhängen es zum Entzug von Kulturgut kam, auf welcher rechtlichen Grundlage das geschah, welche Behörden und Institutionen beteiligt waren, was mit den Kunstgegenständen geschah. Für 2021 wurde die entsprechende Fördersumme kürzlich auf 500 000 Euro erhöht. Ob und ab wann auch zu konkreten Einzelfällen recherchiert wird, will der Stiftungsrat, in dem Bund, Länder und Kommunen als Träger des DZK vertreten sind, im Laufe des Jahres beraten.

Ein Entzug von Kulturgut fand in SBZ und DDR in verschiedenen Situationen statt. In den ersten Nachkriegsjahren gab es »Schlossbergungen«, bei denen im Zuge der Bodenreform das teils wertvolle Inventar von Guts- und Herrenhäusern konfisziert wurde. Es wurde später auf Museen verteilt, nicht zuletzt, um Bestände aufzustocken, die durch die Beschlagnahme von Kunstwerken durch die Sowjetarmee dezimiert waren. Bekannt ist auch die so genannte »Aktion Licht«, bei der unter Führung des Ministeriums für Staatssicherheit im Januar 1962 Schließfächer und Tresore bei Banken geöffnet wurden, die seit Kriegsende nicht mehr benutzt worden waren. Dazu forschte das Dresdner Hannah-Arendt-Institut (HAIT) mit Unterstützung des DZK.

Weit weniger Erkenntnisse gab es bisher dazu, was mit Kulturgut aus dem Besitz von Menschen geschah, die die DDR illegal verließen oder offiziell ausreisten. Teils seien deren Kulturgüter beschlagnahmt worden, sagt der Rostocker Forscher Reno Stutz; teils wurden sie treuhänderisch verwaltet. Wenn es darum ging, die Hinterlassenschaften zu sichten, seien meist Fachleute aus Museen hinzugezogen worden; es gibt Hinweise, dass diese ebenso wie staatliche Stellen hin und wieder selbst zugriffen. Die Rechtslage änderte sich mehrfach; es scheint regionale Unterschiede bei den Verfahren gegeben zu haben. Eine ständige Kommission zum Schutz von Kulturgut bestand in der DDR erst ab 1980. All das mache eine Bewertung schwierig, sagt DZK-Referent Matthias Deinert: »Wir können noch nicht dezidiert sagen, in welchen Fällen Recht gebeugt wurde und wo nicht.«

Ähnliches gilt für den Umgang mit privaten Kunstsammlern in der DDR. Immer wieder gab es Fälle, in denen diesen ihre Sammlungen abgepresst wurden. Als Vorwand dienten oft horrende Steuerforderungen der Finanzverwaltung. Viele der Kunstgegenstände wurden über die »Kunst und Antiquitäten GmbH«, die zum Bereich »Kommerzielle Koordinierung« des DDR-Ministeriums für Außenhandel gehörte, in den Westen verkauft. Etwa ab Mitte der 1970er Jahre sei es »nicht mehr darum gegangen, Museen zu füllen, sondern Devisen zu erwirtschaften«, hieß es bei der Tagung des DZK. Auf einem Podium forderte dort der Stasi-Unterlagenbeauftragte Roland Jahn, das Thema als »gesamtdeutsches Problem« zu behandeln und auch die Frage zu stellen, wie Geschäftspartner im Westen mit der moralischen Verantwortung umgehen.

Generell geht es bei den Forschungen des DZK zum Kulturgutverlust in der DDR eigentlich nicht mehr um Fragen einer Rückübertragung. Diese konnte Anfang der 1990er Jahre beantragt werden und wurde über die Ämter zur Regelung offener Vermögensfragen bearbeitet. Auf diesem Weg kam etwa das Gemälde »Brandung vor Bornholm« aus dem Museum Güstrow zu seinen ursprünglichen Eigentümern zurück. Entsprechende Fristen sind jedoch lange abgelaufen. Opfervertreter sind damit unzufrieden. »Wer bis 1993 keinen Antrag gestellt hatte, fällt hinten runter«, sagte der Rechtsanwalt Ulf Bischof bei der Tagung. Die bisherigen Regelungen seien »weder den Menschen noch dem Umgang mit Kulturgut gerecht geworden«, kritisiert Jahn.

Dass sie noch einmal geändert werden, gilt dennoch als unwahrscheinlich. Trotzdem wird Museen, Bibliotheken und andere Einrichtungen weiter die Frage beschäftigen, auf welchen Wegen und aus welchen Quellen Kunstgegenstände in ihre Sammlungen gelangt sind, auch in der DDR. Fachleute drängen darauf, vor Recherchen zu konkreten Fällen zunächst eine Regelung zu erarbeiten, wie mit unrechtmäßig entzogenem Kulturgut verfahren wird - in Analogie zur NS-Raubkunst. Dort sieht die 1998 beschlossene Washingtoner Erklärung vor, dass »faire und gerechte Lösungen« mit den Erben der früheren Eigentümer gefunden werden. Wie diese mit Blick auf Kulturgutentzug in der DDR aussehen könnten, ist offen. Die Entscheidung darüber, betont DZK-Vorstand Lupfer, obliege der Politik. Er hält es gleichwohl für einen »wichtigen Teil der historischen Auseinandersetzung«, das Thema weiter aufzuarbeiten. Offene Fragen gebe es zur Genüge, fügt er hinzu: »Wir haben noch ein paar Jahre zu tun.«

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