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Erika Pinner und Klára Němečková über deutsch-deutsches Design von 1949 bis 1989

  • Anita Wünschmann
  • Lesedauer: 7 Min.

Frau Pinner, Frau Němečková, Sie haben gemeinsam die Ausstellung »Deutsches Design 1949-1989. Zwei Länder eine Geschichte« kuratiert. Wie kam es zu diesem Gemeinschaftsprojekt?

Erika Pinner: Wir hatten uns in Vorbereitung auf das 30-jährige Mauerfalljubiläum im vorletzten Jahr wie viele Menschen Gedanken darüber gemacht, wie man die Geschichte der Teilung Deutschlands heute erzählt. Für uns war es natürlich naheliegend, die Rolle von Design in den Mittelpunkt zu rücken. Bei unseren Recherchen haben wir festgestellt, dass es noch keine umfassende Ausstellung zu diesem Thema gab. Kurz darauf entstand die Idee der Kollaboration mit dem Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden sowie der Wüstenrot-Stiftung.

Erika Pinner, Klára Němečková

»"Deutsches Design 1949–1989. Zwei Länder, eine Geschichte"« ist eine Ausstellung im Vitra Design Museum in Weil am Rhein überschrieben, die einen neuen Blick auf die deutsch-deutsche Designentwicklung von 1949 bis 1989 wirft. Nach der Präsentation in der südbadischen Kleinstadt wird die Exposition im Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden zu sehen sein.

Mit den Kuratorinnen, der Kulturwissenschaftlerin Erika Pinner vom Vitra Design Museum sowie der Kunsthistorikerin und Germanistin Klára Němečková vom Dresdner Kunstgewerbemuseum, sprach anlässlich der Eröffnung der Schau Anita Wünschmann.

Was für neue Perspektiven sind nach drei Jahrzehnten zum Verständnis der je spezifischen Entwicklungen in Ost und West zu gewinnen?

Zu den neuen Perspektiven gehört vor allem der Blick auf die Parallelen in der ästhetischen Haltung in Ost und West und die gemeinsamen Beziehungen, Interaktionen und Parallelen, die es partiell trotz aller Unterschiede gab. Noch lange nach der Teilung Deutschlands und der Gründung der beiden Staaten wirkte die gemeinsame Tradition der Moderne, des Bauhauses und des Werkbundes nach. Vergleichbar in ihrer Haltung sind zum Beispiel in den 60er Jahren Montagemöbel der Deutschen Werkstätten von Rudolf Horn (MDW) aus der DDR und das Regalsystem 606 von Dieter Rams in der BRD. Wir zeigen auch die spezifischen Gestaltungsqualitäten der Objekte, wobei deutlich wird, dass trotz der politisch-ideologischen Differenzen die beiden Staaten eine ähnliche Designkultur aufwiesen.

Die Neue Sammlung in der Pinakothek der Moderne hatte 2013 die DDR-Produkt-Sammlung von Günter Höhne, ehemals Chefredakteur der ostdeutschen Designzeitschrift »form+zweck«, erworben und gezeigt. Konnten Sie Exponate und/oder Ausstellungsstrategien übernehmen?

Günter Höhne und seine Frau Claudia waren eine wichtige Informationsquelle auch für diese Exposition wie generell für jede Ausstellung bzw. Forschungsarbeiten, die sich mit dem Design der DDR auseinandersetzen. Wir haben für unsere Schau auch einige wichtige Objekte, etwa die erste VEB-Mehrwegflasche aus der DDR oder den Fernsehapparat »Alex«, von ihnen ausgeliehen. Das Ehepaar Höhne hat seit ihrem ersten Konvolut von über 1000 Designobjekten, das von der Neuen Sammlung München erworben wurde, umfangreich weitere Stücke zusammengetragen, die selbst schon wieder eine eigene Sammlung verkörpern.

Warum haben Sie sich für eine chronologische Struktur entschieden?

Es gibt eine Art Präludium im ersten Raum, der sich exemplarisch wichtigen übergreifenden Themen widmet: Die Teilung Deutschlands, die Parallelen und Verbindungen des »Deutschen Designs« und nicht zuletzt auch ein Blick auf die »Wiedervereinigung« bis heute. Die Besucher*innen können bereits bei dieser Einstimmung vor dem chronologischen Rundgang über Klischees nachdenken. Da der inhaltliche Rahmen - vierzig Jahre, zwei Länder - aber sehr komplex ist und wiederum historische Ereignisse die jeweiligen Designentwicklungen beeinflussten, wollten wir einen unkompliziert nachvollziehbaren, unterhaltsamen Rundgang gestalten.

Was kann die Ausstellung an neuen Erkenntnissen über die Rolle des Bauhauses und des Werkbundes für die Designentwicklung in Ost und West vermitteln?

Die Ausstellung stellt die eher komplizierte Beziehung zwischen der DDR und dem Bauhaus dar, zum Beispiel die sogenannte »Formalismusdebatte« Anfang der 50er Jahre, als die Bauhaus-Moderne von der SED wegen »kapitalistischer, westlicher, dekadenter« Tendenzen offiziell abgelehnt worden ist. Trotz dieser Debatte zeugen jedoch Produkte gerade auch aus diesem Jahrzehnt sowie die Ausbildung der Gestalter von der vielfältigen Fortsetzung von Bauhaus-Ideen. In den 60er Jahren setzte sich dann zur Befriedigung gewachsener Massenbedürfnisse die sachliche Gestaltung, verbunden mit der Notwendigkeit einer effektiven seriellen Produktion und neuen industriellen Fertigungsmethoden, durch.

Das Niveau der Produktion unter Designaspekten zu erhöhen war eine Aufgabe auch der jeweiligen Institutionen wie dem Rat für Formgebung in der BRD und des Amtes für industrielle Formgestaltung in der DDR. Inwiefern gab es zwischen ihnen einen Austausch und eine gegenseitige Wahrnehmung?

Einen direkten Austausch zwischen dem Rat für Formgebung und dem Amt für industrielle Formgestaltung gab es erst seit den 80er Jahren mit den deutsch-deutschen Verhandlungen zur kulturellen Zusammenarbeit. Ab diesem Zeitpunkt wurden Ausstellungen durch von jenen aufeinander bezogene Ausstellungen organisiert und wechselseitig Designentwicklungen vorgestellt.

Welches Produkt beziehungsweise welcher Entwurf aus der DDR-Produktion hat Sie persönlich beeindruckt? Und warum?

Zum Beispiel die superfesten Gläser. Sie waren allgegenwärtig in der Gastronomiebranche der DDR, aber ich kannte sie bis dato nicht. Dank einer Technologie, die eine Glasherstellung ohne Risse an der Oberfläche ermöglicht, gehen die Gläser so gut wie nie kaputt. Oder der Stuhl Nr. 50642 von Erich Menzel 1949 für die deutschen Werkstätten Hellerau, weil er trotz der Materialsparsamkeit eine wahnsinnig elegante Form hat, einzigartig im Nachkriegsdeutschland. Oder Teile des einstigen Interieurs vom Café und Restaurant »Moskau« in der Karl-Marx-Allee in Ostberlin, oder vom Palast der Republik das berühmte Stabwerkleuchtensystem. Das waren echte Highlights.

Klára Němečková: Wir präsentieren Schmuckobjekte aus den 80er Jahren der DDR, die durch ihre Materialvielfalt sehr spannend für mich waren, zum Beispiel Broschen von Jürgen Richter aus gebogenem Glas und Silber. Ansonsten freut mich, in unserer Ausstellung auch die verschiedenen Thermoskannen von Margarete Jahny mit ihrem eleganten Form- und Farbspektrum präsentieren zu können.

Ob Marktwirtschaft oder Planwirtschaft - die 60er und 70er Jahre brachten in beiden deutschen Ländern einen ersten Konsumaufschwung. Inwiefern spiegelt sich das in verschieden Produktentwicklungen wider?

Die 60er Jahre brachten tatsächlich sowohl in der BRD als auch in der DDR mit dem wirtschaftlichen Aufschwung auch einen hohen Output an gestalterischen Leistungen. In beiden Staaten war das Design jener Zeit sehr spannend. Im Osten wurden allerdings viele Produkte hauptsächlich für den Export entwickelt und waren für die eigenen Bürger nicht oder kaum erhältlich. Westliche Produkte von Firmen wie Braun erscheinen heute zwar ziemlich normal, aber sie waren für die damalige Zeit sehr teuer; sie konnte sich auch nur ein kleiner Teil der Bevölkerung leisten. Wir haben es hier eher mit Statussymbolen zu tun.

Aus Mangel an Rohstoffen war in der DDR Sparsamkeit und Langlebigkeit gefordert. Sollte man da heute unter Nachhaltigkeitsaspekten anknüpfen?

Ja, es ist wichtig, sich der Designanalysen auch unter diesem Gesichtspunkt zuzuwenden. Designer in der DDR hatten aber nicht wirklich die Wahl. Es waren fixe Bedingungen im wirtschaftlichen Kontext für kreatives Gestalten vorgegeben. Designer heutzutage hingegen können selber entscheiden, ob sie in ihrer Praxis auf Nachhaltigkeit setzen oder dem Überfluss frönen, ob Langlebigkeit oder Trends für sie Priorität haben. In jedem Fall haben wir heute als Konsumenten die Wahl und können entsprechend auch mitbestimmen.

Der Trabant ist eine echte Legende. Er ist aus recyceltem Plastik. Eine Innovation für heute?

Der Trabi wird als Ostalgie-Kultobjekt oft belächelt, aber wir betrachten ihn etwas komplexer. Wir fragen: Was lässt sich noch von solchen »gescheiterten« Objekten lernen?

Sternradio, Veritas-Nähmaschine, Geschirr aus Kahla für den Alltag bestehen noch heute im Designvergleich - und doch überwog bei den Ostdeutschen die Sehnsucht nach beispielsweise einem Radio von Bosch.

Die Sehnsucht war groß nach Produkten, die man nicht bekommen konnte und die Komfort garantierten beziehungsweise einen Mangel aufhoben. Dennoch kam der materiellen Kultur, die nach 1990 »abgewickelt« wurde, weiterhin ein hoher Stellenwert für Identifikation und Identität zu.

Sie wollen eine differenzierte Wahrnehmung der komplexen deutsch-deutschen Designgeschichte befördern. Ist die Differenz mehr auf der institutionellen und politischen Ebene zu erklären oder auch im konkreten Entwurf und im Produkt selbst?

Die Differenzen auf der politischen, ideologischen Ebene und in der Produktion sind eklatant. Während man hingegen oft nicht auf den ersten oder auch nicht auf den zweiten Blick erkennt, welche Objekte aus der DDR und welche aus der BRD sind.

Unsere Ausstellung möchte vor allem darauf hinweisen, dass die deutsche Designgeschichte ohne die Designentwicklung der DDR nicht erzählt werden kann und die deutsch-deutsche Designgeschichte eine exzeptionelle in den Jahren der Teilung ist.

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