nd-aktuell.de / 27.03.2021 / Politik / Seite 20

Auf, auf zum Kampf

Die »Märzaktion« 1921 sollte zum Umsturz führen. Das Scheitern brachte die politische Wende: von revolutionärer Offensive zur Einheitsfront

Florian Wilde

Im Frühjahr 1921 standen die Zeichen bei den deutschen Kommunisten auf Offensive. Die Zeit seit der Gründung der KPD bis zum Jahreswechsel 1918/19 war nicht einfach für die junge Partei gewesen: Durch die Ermordung ihrer wichtigsten Führungspersönlichkeiten wurde sie faktisch sofort enthauptet. Ihre radikalsten Strömungen hatten sich als KAPD abgespalten, und beim Generalstreik gegen den reaktionären Kapp-Putsch hatte sie zunächst eher eine passive Rolle gespielt. Im Dezember 1920 aber wurde aus der KPD durch ihren Zusammenschluss mit dem linken Flügel der USPD plötzlich eine Massenpartei mit fast einer halben Million Mitgliedern. Nun schien bisher Undenkbares möglich.

Ernst Meyer von der KPD fasste diese Stimmung in seiner Rede auf dem Vereinigungsparteitag zusammen: »Sie von der USPD, wir von der KPD haben oft in Momenten gezögert, wo wir vorwärts schreiten sollten. Sie waren gelähmt durch Ihren rechten Flügel, wir von der KPD waren gehemmt durch das Bewusstsein unserer zahlenmäßigen Schwäche, so dass wir nicht das unmittelbar in die Tat umsetzen konnten, was wir wollten. Diese Hemmnisse sind geschwunden.« Meyer stand auf dem linken Flügel des deutschen Kommunismus und hatte zusammen mit Paul Frölich eine »Theorie der revolutionären Offensive« entwickelt.

Nachdem zunächst mit Ernst Däumig und Paul Levi gemäßigtere Kräfte an die Spitze der sich nun vorübergehend Vereinigte Kommunistische Partei Deutschlands (VKPD) nennenden Partei gewählt wurden, traten diese Ende Februar 1921 im Streit um eine Spaltung der italienischen Sozialisten zurück. Sie machten den Weg frei für die radikalen Offensivtheoretiker Meyer, Frölich und Heinrich Brandler, der nun den Parteivorsitz mit übernahm. Unterstützt wurde diese Linkswende der Kommunisten durch Emissäre der Kommunistischen Internationale aus Moskau, die sie in dem Kurs auf einen raschen Aufstand zu bestärken suchten - nicht zuletzt, um die isolierte Sowjetunion endlich aus ihrer Umklammerung zu befreien. Bei der einer Sitzung am 15. März stellte Brandler den kommunistischen Plan für eine »ernsthafte Aktion« zum »Sturz der Regierung« vor: »Nach Ostern wollen wir zum Angriff übergehen. Wir rechnen damit, dass wir eineinhalb bis zwei Millionen Menschen auf die Beine bringen werden.«

Die Aktionsplanung überlappte sich dann aber mit den regionalen Auseinandersetzungen in Mitteldeutschland und musste entsprechend vorgezogen werden. Während fast überall im Reich die Arbeiter nach der Novemberrevolution wieder entwaffnet worden waren, war die Lage hier eine andere: Insbesondere die mitteldeutsche Region Halle-Merseburg war ein wahrer proletarischer Unruheherd geblieben. Hier waren wilde Streiks und Plünderungen an der Tagesordnung, viele Arbeiter verfügten noch über Waffen und die VKPD war mit 67 000 Mitgliedern in diesem Bezirk besonders stark verankert. Eben erst war die Partei bei den preußischen Abgeordnetenhauswahlen am 20. Februar in diesem Wahlkreis mit fast 30 Pozent und knapp 200 000 Stimmen zur stärksten Partei geworden.

Diesem Arbeiterradikalismus wollte die sozialdemokratisch geführte preußische Regierung im März 1921 ein Ende setzen. Sie entsandte die militarisierte Schutzpolizei in das Gebiet, um die Arbeiter zu entwaffnen. Sie traf auf teilweise erbitterten, auch bewaffneten Widerstand der dortigen Arbeiterschaft. Die Leuna-Werke wurden besetzt und von den Arbeitern verbarrikadiert. Die Sicherheitskräfte beschossen das Chemiewerk mit Maschinengewehren, um den Widerstand zu brechen. Schlagzeilen machte insbesondere Max Hoelz von der KAPD, der mit seiner Gruppe zahlreiche Banküberfälle und Sprengstoffanschläge beging.

100 Jahre Mitteldeutscher Märzaufstand

Die Kommunisten sahen in diesem Angriff auf ihre Hochburg den ersehnten Funken, aus dem es nun einen reichsweiten Aufstand zu entfachen gälte. Offensive um jeden Preis war das Motto, auch auf die Gefahr einer Niederlage hin, wie Brandler unumwunden erklärte. Die Parteiführung rief am 24. März zum reichsweiten Generalstreik und zur Bewaffnung der Arbeiter auf. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Polizei den Widerstand in Mitteldeutschland allerdings schon weitgehend niedergeschlagen. Die Aufrufe der VKPD wurden kaum irgendwo befolgt. Lediglich in Hamburg kam es zu einem isolierten Aufstand, der jedoch rasch niedergeschlagen wurde. Statt der von Brandler prognostizierten zwei Millionen gelang es der VKPD gerade einmal, 200 000 Streikende für diesen als »Märzaktion« in die Annalen eingegangenen Generalstreiks- und Aufstandsversuch auf die Beine zu bringen - weniger, als die Partei selbst Mitglieder hatte.

Die Partei hatte ihren Aufruf zum Ausstand nicht aus einer ehrlichen Analyse der Stimmungen im Proletariat hergeleitet, sie versuchte sogar, ihn gegen die Mehrheit der Arbeiterklasse durchzusetzen. Je offensichtlicher wurde, dass die ganze Aktion ein Fehlschlag war, desto aggressiver beschimpfte die kommunistische Presse jene Arbeiter, die sich nicht daran beteiligten. Obwohl ein Scheitern des Aufstandsversuches bereits am 24. März absehbar war, dauerte es bis zum 1. April, dass die Zentrale die Niederlage eingestand und die Aktion endlich abbrach - immer noch die Schuld nicht bei sich selbst, sondern bei den anderen Arbeiterparteien suchend.

Die Folgen dieser »Märzaktion« waren katastrophal für die Partei. Über hundert Kommunisten waren getötet worden, etwa 6000 wurden verhaftet und 4000 verurteilt, unter ihnen auch Heinrich Brandler, an dessen Stelle Ernst Meyer die Parteiführung übernahm. Auch die Mitgliederzahl brach dramatisch ein: Für den August 1921 wurde sie mit nur noch 180 443 angegeben - zwei Drittel der Genossen waren in einem halben Jahr wieder ausgetreten. Darüber hinaus hatte die Märzaktion äußerst negative Auswirkungen auf die Stellung der Partei in der Arbeiterbewegung. Das bisher von USPD und SPD gehegte Vorurteil gegenüber der KPD, sie sei eine unberechenbare, von der Komintern gesteuerte putschistische Partei, die ihre Parteiinteressen vor die Interessen der Arbeiterklasse stelle, schien sich bestätigt zu haben.

In der damals noch sehr lebendigen, pluralen und diskussionsfreudigen kommunistischen Bewegung löste die Märzaktion eine heftig geführte Debatte aus. Den Aufschlag machte Paul Levi, der KPD und Komintern öffentlich »Putschismus« vorwarf. Seine scharf vorgetragene Kritik mündete schließlich in seinem Ausschluss, ohne dass damit ein Ende der selbstkritischen Debatte hätte erzwungen werden können. Im Gegenteil: Sie erfasste auch zunehmend die Komintern selbst und führte auf deren Drittem Weltkongress im Sommer 1921 schließlich zu einer Kehrtwende hin zur Einheitsfrontpolitik, also einer Politik, die mittels gemeinsamer Aktionen mit den anderen Arbeiterparteien auf eine Gewinnung proletarischer Mehrheiten für kommunistische Politik als Voraussetzung einer Revolution abzielte.

In der KPD waren es ausgerechnet die früheren Exponenten der Offensivtheorie wie Meyer, Frölich und Brandler, die als Lehre aus dem Desaster der Märzaktion künftig zu den entschiedensten Protagonisten der neuen Linie zählen sollten. Ab Sommer 1921 standen daher die Zeichen im deutschen und im internationalen Kommunismus nicht mehr auf revolutionäre Offensive, sondern auf Einheitsfront.