- Politik
- Authorization for Use of Military Force
Der Freibrief zum Krieg steht in der Kritik
Im US-Parlament gibt es neue Forderungen, den Präsidenten einzuhegen
Hinter dem sperrigen Kürzel AUMF verbirgt sich das Thema Krieg und Frieden, mithin eine Frage von Leben und Tod. Trotzdem wird sie von der US-Politik seit Langem so gut wie totgeschwiegen. Das könnte sich nun ändern, nicht zuletzt nachdem der neue Präsident Joe Biden (Demokraten) kürzlich den ersten Militärschlag in seiner Amtszeit gegen eine pro-iranische Miliz in Syrien anordnete.
AUMF steht für Authorization for Use of Military Force, zu Deutsch: Genehmigung zum Einsatz militärischer Gewalt. Diese Gewaltgenehmigung ist Kern eines Gesetzes, das dem Präsidenten der USA erlaubt, im Kampf gegen den Terrorismus amerikanische Streitkräfte einzusetzen. Das Gesetz war zunächst eine verständliche Reaktion auf »Nine-Eleven«, jenen verhängnisvollen 11. September 2001, als islamistische Terroristen unter anderem die Zwillingstürme in New York und das Verteidigungsministerium in Washington angriffen und rund dreitausend Menschen töteten. In seiner praktischen Handhabe jedoch wurde das Gesetz, von dem Gutgläubige damals annahmen, es werde sich auf die Drahtzieher Al-Quaidas unter Osama bin Laden konzentrieren, in der Folgezeit und bis heute zum Freibrief willkürlicher Kriegsführung durch US-Präsidenten, von George W. Bush über Barack Obama bis Donald Trump. Das AUMF, die präsidentielle »licence to kill«, kam bis zu Trumps verfassungs- und völkerrechtswidrigem Befehl vom Januar 2020 zur Tötung des iranischen Generals Soleimani im Irak fast vierzig Mal mit militärischen Interventionen in insgesamt 14 Staaten zum Einsatz.
Neben der völkerrechtswidrigen und Frieden gefährdenden internationalen Seite hatte das Gesetz von Anfang an auch einen die amerikanische Verfassung und die innere Gewaltenteilung beschädigenden Charakter - zugunsten der Exekutivmacht des Präsidenten und zulasten der gesetzgebenden des Bundesparlaments im Kongress von Washington DC. Beides wurde noch verschärft durch Begleitmaßnahmen aus den heißen, hysterischen Tagen nach Nine-Eleven, die ebenfalls rechtsstaatliche Grundsätze verletzten: Querbeet-Verhaftungswellen, der USA Patriot Act und die Einrichtung des KZ-ähnlichen Internierungslagers Guantanamo. Die äußeren wie inneren Aspekte des Gesetzes tragen nun zu neuen, hörbaren Forderungen von Kongressmitgliedern bei, das Ermächtigungspaket zu kippen oder so zu reformieren, dass Machtwillkür durch den Mann im Weißen Haus eingehegt beziehungsweise verhindert wird.
Die Forderungen kommen vor allem vonseiten der regierenden Demokraten, in einigen Fällen auch von den seit Trumps Abgang oppositionellen Republikanern. Am interessantesten ist dabei, dass auch Joe Biden ankündigte, er wolle mit dem Kongress an der Aufhebung des AUMF-Gesetzes von 2001 - beziehungsweise seiner Erweiterung zum noch offeneren Kriegsfreibrief 2002, kurz vor der Irak-Invasion unter George W. Bush - zusammenarbeiten. Seine Regierung wolle beide Versionen des AUMF durch ein »enges, spezifisches Rahmenwerk« ersetzen, »das sicherstellt, dass wir einerseits die Amerikaner vor terroristischen Bedrohungen schützen und andererseits die endlosen Kriege beenden können«. Bemerkenswert und zumindest auf den ersten Blick irritierend dabei: Legt der Präsident tatsächlich mit Hand an, um seine angemaßten Kriegsbefugnisse einzuschränken? Der von ihm befohlene und als Vergeltungsschlag bezeichnete Luftangriff Ende Februar auf Syrien lässt Zweifel aufkommen.
Ein Ja, gar eine Umsetzung dieser Bejahung wäre jedenfalls eine Abkehr von langjähriger US-Praxis. Schon deshalb, aber auch wegen einiger kriegerischer außenpolitischen Töne und Schritte der Biden-Regierung aus den jüngsten Tagen empfehlen sich Vorsicht, ja Argwohn. Ein alter Konflikt, der auch unter Biden nicht einfach verschwinden dürfte, besteht darin: Zum einen räumt die Verfassung dem Präsidenten als Oberbefehlshaber der Streitkräfte enorme Macht ein. Zugleich aber sind Kriegserklärungen, ebenfalls laut Verfassung, das Vorrecht des Kongresses und nicht des Präsidenten. Vor allem nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der damit gestärkten Weltmachtrolle der USA zogen amerikanische Präsidenten wiederholt in kriegerische Konflikte, ohne dass der Kongress eine Kriegserklärung hätte aussprechen oder aber den Präsidenten an die Kette legen können.
In Verbindung mit diesem mal latenten, mal akuten Gewaltenteilungskonflikt und als Reaktion auf den Vietnamkrieg beschloss der Kongress 1973 gegen das Veto des damaligen Präsidenten Nixon die »War Powers Resolution«. Das Gesetz soll den Präsidenten zügeln und die Befugnisse der Parlamentarier stärken, etwa indem der Präsident vor einem Militäreinsatz den Kongress konsultiert und beide Häuser des Kongresses (Senat und Repräsentantenhaus) spätestens 48 Stunden nach Beginn von militärischen Feindseligkeiten ausführlich informiert. Beides haben Präsidenten - nicht nur Trump im jüngsten Beispiel der Tötung General Soleimanis - wiederholt unterlassen. Faktisch hat die »War Powers Resolution« in der Vergangenheit Macht und nicht selten Willkür des Präsidenten oft genauso wenig eingeschränkt wie das AUMF-Gesetz.
Die historische Erfahrung gebietet folglich Vorsicht statt Euphorie über Bidens Ankündigung, sich vom Kongress quasi die Hände binden zu lassen. Umso mehr als die Regierung in kritischen Lagen, in denen sie freie Hand haben will, heute im 100-köpfigen Senat mit brüchigen Mehrheitsverhältnissen von 50:50 konfrontiert ist. Dennoch gibt es auch Überlegungen, die Bidens erklärte Offenheit für eine Ablösung des Gesetzes verständlicher machen: Der Präsident war lange selbst Senator und Chef des Auswärtigen Ausschusses. Es ist also zumindest denkbar, dass er die AUMF-Ablösung einfach für richtig hält. Zum anderen hat der Präsident gerade in der heutigen Situation, in der es den USA immer schwerer fällt, ihre Weltmachtrolle auszufüllen, Interesse daran, den Kongress verbindlicher in die militärischen Aktivitäten Washingtons einzubeziehen. Anders ausgedrückt: Wenn der Kongress für oder gegen militärische Gewalt gestimmt hat und dies vom Weißen Haus berücksichtigt wird, steht der Kongress ganz anders in der Verantwortung, als wenn sich seine Mitglieder zwar über ihre Missachtung durch den Präsidenten beklagen, in puncto Verantwortung aber nach dem Motto auf ihn zeigen: Wir waren’s nicht, er war’s.
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