nd-aktuell.de / 30.03.2021 / Kultur / Seite 13

Digitales an der Wand

In Peking stellt eine Galerie erstmals »Crypto Art« aus

Fabian Kretschmer

Wer die »798«-Künstlerkommune betreten möchte, muss zunächst Absperrgitter, Überwachungskamera und den abweisenden Blick eines schwarz uniformierten Wachmanns passieren. Dann jedoch befinden sich die Besucher in einem der wenigen übrig gebliebenen Freiräume Pekings: Auf dem Gelände einer von DDR-Architekten geplanten Waffenfabrik reihen sich mittlerweile nordkoreanische Kunstgalerie, Goethe-Institut und Graffiti-Shop. Streetart ziert die heruntergekommenen Bauhaus-Fassaden, auch die Berliner Sprüher-Crew »1Up« hat im »798« bereits ihre Spuren hinterlassen.

Dass ausgerechnet auf einem ehemals sozialistischen Industriegelände Chinas erste Ausstellung für Krypto-Kunst stattfindet, lässt sich als Ironie des Schicksals werten. In den neonrot und -blau ausgeleuchteten Ausstellungsräumen herrscht die typisch aufgeladene Atmosphäre einer Vernissage: Junge Menschen in exzentrischer Mode, euphorische Unterhaltungen führend. In der Ausstellung »Virtual Niche - Have you ever seen memes in the mirror?« sind die Wände vollkommen mit Crypto-Kunst bedeckt - darunter auch die bisherige Szene-Sensation »Beeple«.

Spätestens seit seinem historischen Deal vom 11. März ist Digitalkunst der neue Hashtag in der Kunstwelt. Damals verkaufte der US-Amerikaner Mike Winkelmann, Künstlername »Beeple«, sein »Everydays: The first 5,000 Days« im Auktionshaus Christie’s für spektakuläre 69,3 Millionen Dollar. Der Preis seiner Fotocollage mag sicherlich einem Medien-Hype geschuldet sein, doch ist es gleichzeitig auch die inspirierende Geschichte eines Helden, wie sie sonst nur in Werner-Herzog-Filmen erzählt wird: Über 13 Jahre lang arbeitet ein Informatiker aus Wisconsin stur an seinem Sisyphoswerk, ohne je auf Profit hoffen zu können. Über Nacht schließlich wurde der 40-Jährige zum drittteuersten Künstler hinter Jeff Koons und David Hockney.

Möglich wurde dies erst durch die Blockchain-Technologie. Die Idee dahinter ist simpel: Digitale Kunstwerke können mithilfe eines sogenannten NFT (Non-Fungible Token - nicht ersetzbare Token) fälschungssicher zum Unikat gemacht werden. Es scheint, als ob die digitale Kunst wieder zur Bedeutung des Originals zurückfindet. Mit einem »NFT« können Musiker Liederkompositionen verkaufen, Maler Gemälde und Autoren ihre Manuskripte.

»Die junge Generation ist doch die ganze Zeit online. Natürlich spiegelt sich das auch in der Kunst wider«, sagt Xiao Ge, eine zierliche Frau, vollständig in Schwarz gekleidet. Als Malerin hat sich die heute 50-Jährige einen Namen gemacht, später als Kuratorin und zuletzt als Chefredakteurin einer der wichtigsten Kunst-Publikationen der Volksrepublik. Was sie sagt, hat Gewicht. In der Krypto-Kunst sieht Xiao Ge eine »demokratische Revolution«: Mussten aufkommende Talente früher den Gang durch die Institutionen gehen, von Galeristen vertreten werden und in Museen ausstellen, kann nun jeder Künstler seine Popularität aufbauen.

»Es braucht Zeit, bis die Leute das kapieren«, sagt Xiao Ge. Sie vergleicht die Bedeutung für die Kunstwelt mit dem historischen Werk »Fountain« von Marcel Duchamps: 1917 stellte der französisch-amerikanische Dadaist ein handelsübliches Urinal aus. Was zu seiner Zeit nur für Irritation sorgte, gilt heute als Geburtsstunde der Konzeptkunst: Dass sich jemand herausnimmt, Dinge von außen neu zu betrachten, ist bis heute revolutionär. Inhaltlich ist an der ausgestellten Kunst wenig Revolutionäres zu bemerken. Eine verpixelte Videospielästhetik zieht sich wie ein roter Faden durch die Werke. Die in Peking präsentierten Gemälde würden sich gut in einer Vorstandsetage machen, Provokation oder Gesellschaftskritik wird lediglich zart angedeutet. Möglicherweise ist die Gefälligkeit auch der chinesischen Zensur geschuldet, schließlich muss das Kulturbüro jede Ausstellung genehmigen. Kurator Sun Bohan hält seine Ausstellung dennoch für einen Startschuss in die digitale Zukunft der Kunstwelt: »Kurzfristig mag Krypto-Kunst ein Hype sein, der sich daran zeigt, dass Künstler teure Preise erzielen. Langfristig wird sie zur zwangsläufigen Entwicklung.«