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Geld ohne Arbeit

Spaß und Verantwortung

  • Olga Hohmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Ich sitze in meinem Bett und versuche, mich nicht zu bewegen. In meinem Wohnzimmer, nur eine papierdünne Wand entfernt, ist ein sibirisches Fernsehteam. Es filmt deutsch-russische Teenager aus Berlin-Charlottenburg, die sich Interviews mit ihrem Urgroßvater anschauen: ein Gulag-Überlebender, der über sein Leben spricht. Er wurde das erste Mal verhaftet, als er zehn Jahre alt war. Es ist eine wirklich tragische Geschichte.

Die 14- und 15-jährigen Geschwister werden aufgenommen, wie sie, möglichst offensichtlich emotional, auf jene Aufnahmen reagieren. Auf dem Esstisch vor ihnen liegt russische Literatur, deutsche Übersetzungen von Werken Gogols, Tolstois, Puschkins und Dostojewskis. Die junge russische Dokumentarfilmregisseurin, die eigentlich lieber Spielfilme machen würde, hat sie heute Morgen aus meinem Bücherregal gezogen und als Requisiten umfunktioniert.

Die Hälfte meines geräumigen Wohnzimmers ist voll mit Film-Equipment. Ein riesiger schwarzer Berg, hauptsächlich aus verschiedenen Plastikkoffern. Sie wurden von zwei ebenfalls etwa 15-jährigen russischen Boys zu mir in den fünften Stock getragen, blonde Zwillinge - ihr Chef stand in der Ecke und gab auf Russisch Befehle. Die Regisseurin hatte mich schon im Voraus gewarnt: »You will see, Mafia vibes!«

Warum ich meine Wohnung an das sibirische Filmteam vermiete? Um nebenbei etwas Geld zu machen. Denn kürzlich bekam ich eine E-Mail von meinem aktuellen Arbeitgeber, dass mein gleichaltriger männlicher Kollege von nun an gerne mehr Geld verdienen würde - ob es in Ordnung wäre, wenn ich dafür weniger verdienen würde. Absurderweise fand ich die Gleichung im Moment des Lesens irgendwie logisch und stimmte zu. Wahrscheinlich fiel mir einfach nichts Besseres ein, als ernüchtert »Ja« zu sagen - wenn es um Geld geht, handele ich leider meistens frei nach dem von Abba etablierten Motto »Don’t go wasting your emotion«. Aus Gründen der emotionalen Haushaltsführung legte ich keinen Widerspruch ein und suchte mir stattdessen eine zusätzliche Ertragsquelle.

Jetzt sitze ich also auf meinem Bett und versuche, so leise wie möglich zu tippen, damit ich die Filmaufnahmen nicht störe. Ich versuche auch, nicht so viel Kaffee zu trinken wie normalerweise beim Schreiben, denn ich bin ja in meinem klitzekleinen Schlafzimmer eingesperrt und kann es nicht mal verlassen, um pinkeln zu gehen. Ich denke an das Catering, das das Filmteam mitgebracht hat: Prinzenrolle und Pom-Bären. Immer wenn ich traurig bin, denke ich an Snacks.

Traurig bin ich, weil ich einfach nicht weiß, wie ich jemals Geld verdienen soll. Es kommt mir vor wie ein Rätsel, das ich einfach nicht prädestiniert bin zu lösen. Nachdem einige wenige Versuche gescheitert sind, konkret an einer ökonomisch ertragreichen Karriere zu arbeiten, versuche ich nun stattdessen herauszufinden, wie man Geld verdienen kann, ohne dafür zu arbeiten.

Mein eigenes Heim zu monetarisieren, ist der erste Ansatz für dieses Projekt. Da ich in einer Maisonettewohnung mit Mietvertrag aus den 80er Jahren lebe, muss man sie etwa einen Tag lang professionell untervermieten, um eine Bezahlung in der Höhe des Mietpreises zu erhalten. Ich kann es mit meiner politischen Moral nicht vereinbaren, mich auf eine Airbnb-artige Nutzung einzulassen. Vergangene Woche aber kam ein Bekannter vorbei und legte mir ans Herz, die Wohnung als Kletterhalle umzufunktionieren - eine Art Zwischennutzung, die der Pandemie zu verdanken ist, denn aktuell sind ja alle Boulderhallen in der Stadt geschlossen.

Er schlug mir im nächsten Atemzug ebenfalls vor, in der oberen Etage eine große Grasplantage einzurichten. Die Vorstellung, dass ich in meinem kleinen Schlafzimmer sitze und schreibe, während draußen oberkörperfreie Halbstarke meine Wände hochklettern und zwischendurch Joints rauchen, kommt mir tatsächlich wesentlich plausibler vor, als Widerspruch gegen meine Gehaltskürzung einzulegen.

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