Mensch, ist doch Berlin!

Claudia Krieg kann Menschen, die sich massenhaft versammeln, nicht verstehen

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 2 Min.

Ich kenne nicht sehr viele Menschen, die in Berlin das Glück haben, einen Kleingarten nutzen zu können, aber diejenigen, denen es vergönnt ist, waren darüber mit dem Beginn der Corona-Pandemie gleich noch ein bisschen glücklicher. Hier konnte man mit Abstand den Frühling und den Sommer genießen, erst als im Spätherbst das Wasser abgestellt wurde, musste man sich wieder in die Gemeinschaft der pandemiegenervten Mit-Metropolisten einfügen. Aber auch der dritten Welle sah die Kleingärtnerin schon wieder etwas entspannter entgegen.

Ich bin nicht neidisch. Aber was machen die Hunderttausenden anderen, die keine Laubenpieper sein können oder wollen, wenn nach dem fast schon vergessenen Lockdown-Winter plötzlich die Temperaturen auf über 15 Grad klettern? Wie jedes Jahr - tödliche Virusmutationen im Umlauf hin oder her - drängen die Menschen Richtung Licht und Wärme, reißen sich die Klamotten vom Leib, lassen die Kronkorken ploppen. Mensch, ist doch Berlin!

Die letzten Bedenken werden mit dem Hinweis darauf, dass man sich doch »draußen eh nicht ansteckt« beiseite gewedelt. Die »größere Menschenansammlung auf dem Tempelhofer Feld«, die die Polizei am Dienstag bemerkte und die dort auch am Mittwoch wieder zu erwarten war, war ein mittelgroßes Festival, über das ich mich zu anderen Zeiten gefreut hätte. Wenn ich vergessen hätte, dass in den Intensivstationen der Krankenhäuser Menschen arbeiten, die seit über einem Jahr unter Pandemiebedingungen Leben retten müssen, die genau von dieser Pandemie bedroht werden. Wenn ich vergessen hätte, dass es Menschen jeden Alters gibt, deren chronische Krankheiten dafür sorgen, dass sie seit über einem Jahr nicht am öffentlichen Leben teilhaben können. Wenn ich vergessen hätte, dass es sich gerade um mindestens eine doppelt so ansteckende Virusmutation handelt, die das epidemiologische Geschehen in der Hauptstadt bestimmt. Vielerorts geht es nicht mit dem Abstand halten, aber wenn es irgendwo möglich ist, dann doch wohl auf dem Tempelhofer Feld.

Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser*innen und Autor*innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Dank der Unterstützung unserer Community können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen

Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.