Scharfe Kritik an »Notbremse«

Debatte zum Infektionsschutz im Bundestag

Mit erneut auf den Privatbereich, auf Kultur, Sport und große Teile des Einzelhandels beschränkten Grundrechtseingriffen will die Bundesregierung die Corona-Pandemie in den Griff bekommen. Mit einer weiteren Änderung des Infektionsschutzgesetzes will sie dabei mehr Kompetenzen an sich ziehen. Sie sieht ab einem Inzidenzwert von mehr als 100 positiven Tests pro 100 000 Einwohner innerhalb der letzten sieben Tage an drei aufeinanderfolgenden Tagen unter anderem nächtliche Ausgangssperren vor. Schulen sollen ab einer Inzidenz von 200 mit Ausnahmen keinen Präsenzunterricht mehr anbieten dürfen.

Am Freitag debattierte der Bundestag in erster Lesung über die Gesetzesnovelle zur Vereinheitlichung der Anti-Corona-Maßnahmen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) warb eindringlich für eine schnelle Inkraftsetzung der »Bundes-Notbremse«. Mit Blick auf die drohende Überlastung der Krankenhäuser angesichts steigender Infektionszahlen mahnte sie: »Jeder Tag früher, an dem die Notbremse bundesweit angewandt ist, ist ein gewonnener Tag.« Die Lage sei »ernst, und zwar sehr ernst«. Das Gesetz solle das Land aus der »furchtbaren Phase« der ständig steigenden Infektionszahlen herausführen. Bei den Ausgangsbeschränkungen gehe es darum, »abendliche Besuchsbewegungen von einem Ort zum anderen«, auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln, zu reduzieren. Ähnlich äußerte sich SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Ausgangsbeschränkungen allein reichten zwar nicht aus, aber es sei in keinem Land gelungen, eine Infektionswelle mit der Virusvariante B 117 ohne Einschränkung der Bewegungsfreiheit »in den Griff zu bekommen«.

FDP-Partei- und Fraktionschef Christian Lindner unterstützte ein bundeseinheitliches Handeln. Die Regelungen zu Ausgangsbeschränkungen nannte er aber verfassungsrechtlich »hochproblematisch«. Man werde Vorschläge machen, das Gesetz verfassungsfest zu machen. Sollten die Koalitionsfraktionen darauf nicht eingehen, werde seine Fraktion »den Weg nach Karlsruhe im Wege von Verfassungsbeschwerden« gehen.

Grüne und Linke warfen der Regierung vor, das Wirtschaftsleben in dem Gesetz nicht ausreichend zu berücksichtigen. In der Wirtschaft gebe es »faktisch null Beschränkung«, monierte Klaus Ernst (Linke). Im Gesetz stehe zum Beispiel keine Pflicht für Unternehmen, Tests vor Arbeitsbeginn bereitzustellen. Auch nach Ansicht von Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt muss »dringend nachgebessert« werden. Insbesondere »Kontakte in der Arbeitswelt« müssten »maximal rechtsverbindlich runter«, mahnte sie. Göring-Eckardt kritisierte zudem, Schulen erst ab einem Inzidenzwert von 200 zu schließen, sei zu spät.

Am Freitagnachmittag fand im Gesundheitsausschuss des Parlaments eine öffentliche Anhörung zum Gesetz statt. Dort forderte die Vorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW, Marlis Tepe, auch Schulen bei Überschreiten der Inzidenz von 100 zu schließen, sofern der »Ausbruchsherd in einer Kommune nicht ganz konkret definiert werden« könne. Tepe forderte, »alle Lehrkräfte und weitere im Bildungsbereich Beschäftigte« müssten in die Impfgruppe 2 aufgenommen werden. »Wer öffnen will, muss impfen«, betonte sie.

Die Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag ist für Mittwoch vorgesehen. Danach muss es noch den Bundesrat passieren.

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