Prag wirft 63 russische Diplomaten raus

Konflikt um mutmaßlichen russischen Anschlag in Tschechien zieht immer weitere Kreise in Osteuropa

  • Birger Schütz
  • Lesedauer: 5 Min.

Welch rauen Ton Moskaus Diplomaten in der sich immer weiter zuspitzenden Krise mit Tschechien inzwischen anschlagen, verdeutlicht ein Tweet der russischen Botschaft in Belarus vom vergangenen Wochenende. Am Sonnabend teilten die Diplomaten eine Ankündigung des litauischen Außenministers Gabrielius Landsbergis auf dem offiziellen Twitterauftritt der Vertretung. In dem Tweet begründete der Politiker die Ausweisung russischer Diplomaten aus den baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland - die Botschaftsmitarbeiter verpassten ihm kurzerhand den beleidigenden Hashtag smalldickenergy. Ins Hochdeutsche lässt sich das mit Augenzudrücken und viel Wohlwollen als »Energie des kleinen Penis« übersetzten.

Doch eigentlich hatten die diplomatischen Vertreter ein vulgäres Schimpfwort für das männliche Genital gemeint. Der Tweet sorgte denn auch prompt für pikierte Kommentare und empörte Reaktionen und schaffte es innerhalb weniger Stunden unter die Top-Twitter-Trends in Russland. Dann zog die Botschaft die Reißleine, löschte den Tweet und ersetzte ihn kurzerhand durch die neue Nachricht »smalldipenergy und smalldickenergy - Entscheiden Sie selbst.« Der offenbar humorig gemeinte neue Hashtag soll wohl auf die vergleichsweise geringe diplomatische Durchsetzungsfähigkeit der kleineren Staaten Osteuropas anspielen.

Der Twitterskandal ist die jüngste Zuspitzung in der größten Krise zwischen Tschechien und Russland seit Jahrzehnten. Nachdem Moskau am 18. April insgesamt 20 Mitarbeiter der tschechischen Botschaft ausgewiesen hatte, zog Prag Mitte der letzten Woche nach und kündigte am vergangenen Donnerstag die Ausweisung von 63 russischen Botschaftsangehörigen und Diplomaten an. Tschechiens neuer Außenminister Jakub Kulhánek begründete den Schritt an seinem ersten Tag im Amt mit dem Wiener Abkommen über diplomatische Vertretungen. Demnach soll Moskau bis Ende Mai die Zahl seiner Mitarbeiter auf den aktuellen Stand der tschechischen Vertretung in Moskau reduzieren. Diese verfügt nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP derzeit nur noch über fünf Diplomaten und 19 weitere Mitarbeiter. Damit sei die Vertretung nicht arbeitsfähig und praktisch »paralysiert«, beklagte zuvor der tschechische Außenminister Jakub Kulhánek. In Prag sind indes immer noch 27 russische Diplomaten und 67 Mitarbeiter tätig.

Als Zeichen der Solidarität schlossen sich auch mehrere ost- und mitteleuropäische Länder dem tschechischen Schritt an. So kündigte die Slowakei noch am Donnerstag die Ausweisung von drei russischen Botschaftsmitarbeitern an. Einen Tag später zogen die baltischen Staaten nach. Litauen werde zwei russische Diplomaten des Landes verweisen, kündigte der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis am vergangenen Freitag gegenüber Journalisten an. Estland und Lettland würden jeweils einen russischen Botschaftsmitarbeiter rauswerfen, so der Politiker in der Erklärung, die Moskaus Diplomaten so erzürnte und zu ihrem Hashtag hinriss. Offiziell begründeten die Balten die Ausweisungen mit angeblichen Spionagetätigkeiten der russischen Diplomaten.

Moskau reagierte postwendend: Noch am selben Tag unterzeichnete Präsident Wladimir Putin ein Dekret, das Botschaften »unfreundlicher Staaten« in Russland künftig die Anstellung russischer Mitarbeiter untersagt. Die Regierung soll in Kürze eine Liste der Staaten vorlegen, für welche diese Einschränkungen gelten sollen. Kurze Zeit war auch ein Importstopp für tschechisches Bier im Gespräch.

Begonnen hatte die Eskalationsspirale mit einer Mitteilung am Samstag vor zwei Wochen: Tschechischen Untersuchungsergebnissen zufolge soll der russische Militärgeheimdienst GRU in die Explosion eines Munitionslagers nahe dem tschechischen Dorf Vrbětice verwickelt sein. Dabei waren im Jahr 2014 zwei Menschen ums Leben gekommen, mehrere Dörfer mussten evakuiert werden. Prag vermutet, russische Geheimdienstler hätten mit dem Sabotageakt Munitionslieferungen an die Ukraine behindern wollen - und wies am 18. April 18 mutmaßliche russische Geheimdienstmitarbeiter aus. Moskau bezeichnete den Schritt als »Provokation« und revanchierte sich mit dem Rauswurf von 20 tschechischen Diplomaten.

Außenminister Kulhánek begründete sein Vorgehen auch mit einer prinzipiellen Frage - der Reduzierung der aus tschechischer Sicht überdimensionierten russischen Präsenz in Prag. Tatsächlich ist die russische Botschaft mit bisher 135 Mitarbeitern die größte ausländische Vertretung in dem kleinen Land. Zum Vergleich: Die USA beschäftigen in ihrer Prager Vertretung 72 Mitarbeiter, die Bundesrepublik 26. Auch unter den russischen Botschaften in Osteuropa zählt die Prager Gesandtschaft zu den größten ihrer Art: So arbeiten im benachbarten Polen nur 57 russischen Diplomaten, in Ungarn immerhin noch 105. Der tschechische Inlandsgeheimdienst BIS warnt bereits seit Jahren vor dem aufgeblähten Mitarbeiterapparat und stuft die Botschaft als Bedrohung für die nationale Sicherheit ein. Moskau nutze seine Vertretung als Basis für sämtliche Geheimdienstaktivitäten in Osteuropa und im Schengen-Raum, so der Vorwurf. Die Größe der russischen Botschaft erklärt sich aus dem Erbe des Kalten Kriegs, als Prag der Sowjetunion als wichtigste Vertretung in der Region diente - insbesondere seit der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968. Prag will nun »Parität« zwischen den diplomatischen Vertretungen in den beiden Hauptstädten herstellen.

Unterdessen meldete sich am Sonntag der tschechische Präsident Miloš Zeman nach langem Schweigen zu Wort und warnte vor voreiligen Schlüssen. Die russische Beteiligung an der Explosion in Vrbětice sei nicht bewiesen, erklärte der für seine moskaufreundliche Haltung bekannte Politiker. Bisher handele es sich lediglich um einen Verdacht, weitere Ermittlungen müssten abgewartet werden. Indes könnte sich die Krise auf einen weiteren Staat ausweiten - auf Bulgarien. Erst im März hatte es zwei russische Diplomaten wegen Spionagevorwürfen des Landes verwiesen. Nun wurde bekannt, dass die in Tschechien explodierte Munition dem bulgarischen Waffenhändler Emilian Gebrew gehört haben soll.

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