nd-aktuell.de / 30.04.2021 / Sport / Seite 28

Hilfe kommt erst bei Insolvenz

Ehrenamtler versuchen, Sportvereine irgendwie am Laufen zu halten. Ohne neue Mitglieder wird das schwer

Ullrich Kroemer, Leipzig

Es ist dieser Tage nicht leicht für Danny Morgner und seine Mitstreiter vom SV Rotation Göritzhain, den Kontakt zu den Mitgliedern zu halten. Wegen der Pandemiebestimmungen dürfen die Menschen ihren Sportplatz im kleinen Örtchen in Mittelsachsen im Tal der Chemnitz, wie andere Vereine auch, seit mehr als einem Jahr höchstens sporadisch öffnen. Doch Göritzhain trifft das besonders hart, denn der SV Rotation nimmt eine zentrale Rolle im Ort ein. Etwa ein Drittel der etwa 600 Einwohner treibt hier in den acht Abteilungen Sport - von Fußball über eine Frauensportgruppe bis Yoga. In Göritzhain gibt es weder eine Schule, einen Bäcker noch eine Kneipe - so ist der Sportverein die Institution. »Im Ort ist es sonst recht trist. Jeder kommt von der Arbeit heim und macht sein Ding«, berichtet der stellvertretende Vorsitzende Morgner. »Deswegen haben wir die Verantwortung, das öffentliche Leben aufrechtzuerhalten.« Als Rotation 2019 kurz vor der Pandemie das 70-jährige Bestehen feierte, waren alle auf den Beinen. Gut 100 ehrenamtliche Helfer - ein Sechstel aller Einwohner - arbeiteten für das Gelingen des Festes.

Dieses muntere Vereinsleben über die Pandemie zu retten, ist im Moment die schwierigste Aufgabe. »Bei vielen geraten wir in Vergessenheit. Deswegen überlegen wir uns Aktionen gerade für Kinder, bei denen sie spüren: Hier kann ich dem Verein was geben, der Verein gibt mir was zurück«, berichtet der 26-Jährige. So gibt es aktuell eine Woche der Bewegung, in der jedes Mitglied die beim Joggen, Wandern, Radfahren zurückgelegten Kilometer übermitteln soll, die dann addiert werden. Zu Ostern schmückten die Rotationer einen »Oster-Wunschbaum«, an den vor allem Kinder Ostereier mit Wünschen hängen konnten. Die Zweige waren nach kurzer Zeit voll, und der Tenor der Wünsche war einhellig, erzählt Morgner: »Dass ich wieder trainieren und meine Freunde treffen darf«, schrieben die meisten Kinder.

An einer Öffnung arbeiten der Deutsche Olympische Sportbund und seine zahlreichen Unterorganisationen intensiv. Doch trotz wissenschaftlicher Studien zur geringen Ansteckungsgefahr unter freiem Himmel und guter Hygienekonzepte der Vereine ist etwa in Sachsen aktuell nur der Trainingsbetrieb für fünf Kinder in Kleinstgruppen mit Abstand erlaubt. Benjamin Kahlert, Geschäftsführer des Kreissportbundes (KSB) Mittelsachsen, der auch den SV Göritzhain betreut, nimmt inzwischen Resignation bei vielen Vereinsvertretern wahr. Erstmals seit 2014 ist die Mitgliederentwicklung im Kreis wieder rückläufig (um 1,5 Prozent). Im LSB Sachsen ist der Mitgliederschwund sogar fast doppelt so hoch. Besonders bei den kleinsten Mitgliedern bis sechs Jahren (Rückgang um 15 Prozent) fehlen ganze Jahrgänge.

Das bestätigt etwa Tim Aubel, Sportlicher Leiter der Basketballabteilung des ATSV Freiberg, mit knapp 1000 Mitgliedern der größte Verein in Mittelsachsen. »Es gibt zwar wenige Austritte, aber eben gerade keine Neueintritte. In der U8 haben wir für die kommende Saison noch einen Spieler, wenn die älteren in die U10 aufrücken«, sagt Aubel. Diese Delle zu kompensieren, sei eine echte Herausforderung. Weil Leistungssportvereine mit Kaderathleten trainieren dürfen, im Unterschied zu ambitionierten Breitensportvereinen wie den Freibergern, erwartet Aubel, dass die Leistungsschere im Jugendbereich künftig stärker auseinanderklaffen wird.

Benjamin Kahlert vom KSB warnt und appelliert: »Es muss eine Perspektive geboten werden, dass wir im Breitensport wieder zu normalem Betrieb zurückkehren können, sonst bekommen wir in der Struktur ein Problem.« Das betreffe nicht nur aktive, sondern auch ehrenamtliche Mitglieder und Helfer. »Wir befürchten, dass die den Kontakt und somit die Motivation verlieren. Die kann man nur wieder fördern, wenn man Perspektive hat.«

Welchen Stellenwert die Sportvereinskultur hierzulande hat, dokumentierte kürzlich die deutsche Unesco-Kommission, indem sie die gemeinwohlorientierte Sportvereinskultur zum immateriellen Kulturerbe in Deutschland ernannte. Laut DOSB gibt es in den 90 000 Sportvereinen 27 Millionen Mitglieder und 8 Millionen Freiwillige, die sich engagieren. Etwa 750 000 Menschen arbeiten auf Vorstands- und knapp eine Million auf Ausführungsebene, etwa als Übungsleiter, ehrenamtlich.

So wie Danny Morgner und Tim Aubel, die im Normalfall locker 40 Stunden im Monat ehrenamtliche Arbeit leisteten; derzeit ist es etwas weniger. Dieses gewaltige ehrenamtlich getragene Gebilde am Laufen zu halten - durch Anwerben, Honorierung und Wertschätzung -, ist sportpolitisch extrem wichtig. Zwar wurden in der vergangenen Wahlperiode einige rechtliche und steuerliche Verbesserungen für Ehrenamtler erreicht, etwa die Anhebung der Pauschalen für Übungsleiter und Verantwortliche. Doch Danny Morgner würde sich zum Beispiel wünschen, dass für Trainerfortbildungen kein Urlaub genommen werden muss, sondern dass Arbeitgeber dafür freie Tage gewähren - am besten sogar verpflichtend. Der Bundestagsabgeordnete André Hahn, in der Fraktion der Linken fürs Ehrenamt zuständig, sagt dem »nd«: »Wir brauchen eine Bewusstseinsbildung, damit ehrenamtliches Engagement noch mehr als bisher durch Arbeitgeber, Ausbildungsstätten und Schulen gewürdigt und gefördert wird.«

Auch die Grünen-Politikerin Monika Lazar, Obfrau im Sportausschuss des Bundestages, sagt: »Wir wollen gesellschaftliches Engagement, insbesondere auch im Sport, stärker anerkennen.« Ihre Fraktion fordert daher eine Engagementkarte mit Vergünstigungen für den Eintritt in Theatern, Schwimmbädern oder Museen. »Engagementleistungen sollten für Studium und Ausbildung besser anrechenbar sein. Weiterbildungen, die für freiwilliges Engagement benötigt werden, sollten als Bildungsurlaub anerkannt werden. Die Freiwilligendienstplätze wollen wir verdoppeln«, zählt sie auf. KSB-Funktionär Kahlert hat zudem ganz pragmatische Ideen, wie auch Kommunen Wertschätzung ausdrücken könnten. Er schlägt eine Parkkarte für Ehrenamtliche vor - ähnlich der für Ärzte -, mit der diese im Landkreis kostenfrei parken dürften.

Doch zunächst muss der Betrieb in den Sportvereinen wieder anlaufen - möglichst auch mit Anschubhilfen aus der Politik. »Damit zivilgesellschaftliche Organisationen, wie Sportvereine und -verbände, gut durch die Pandemie kommen, brauchen wir einen Rettungsschirm ›Zivilgesellschaft‹, über den schnell und unbürokratisch Soforthilfen bereitgestellt werden«, fordert Lazar. Die beschlossenen Hilfspakete der Bundesregierung und Länder »greifen leider nur teilweise oder gar nicht für diese gemeinnützigen Organisationen«, weiß die Leipzigerin. Der SV Göritzhain etwa hat in der Pandemie einen niedrigen vierstelligen Betrag an Einnahmen eingebüßt. Geld aus einem Rettungspaket für den Sport wird jedoch erst dann ausgezahlt, wenn die Vereine kurz vor der Insolvenz stehen. Das ist glücklicherweise bei vielen noch nicht der Fall. Sonst würde nach der Pandemie in Göritzhain und anderswo nicht einmal mehr der Sportverein für ein Gemeinschaftsgefühl sorgen können.