nd-aktuell.de / 30.04.2021 / Kultur / Seite 17

Hört die Signale!

jha

An bierseligen Abenden, wenn die berauschten Hirne und Glieder einmal mehr von der Weltrevolution träumen, darf sie ebenso wenig fehlen wie auf den offiziellen Parteitagen der deutschen Sozialdemokratie (eher der Minderheits- als Mehrheitspartei): »Die Internationale«. Ob gegrölt oder geträllert, schon ab dem ersten Vers entfaltet sich die aufrührerische Wucht des Liedes. »Debout! les damnés de la terre«, formulierte es vor genau 150 Jahren der dichtende Transportarbeiter Eugène Edine Pottier - noch unter dem Eindruck der Pariser Kommune, an der er selbst beteiligt war, und der 1864 gegründeten Internationalen Arbeiterassoziation. Pottier, schon 1848 auf den Barrikaden, floh nach der Niederschlagung der Kommune ins Ausland und kehrte erst später nach Paris zurück, zu seiner Beerdigung 1887 sammelte sich eine Menschenmenge unter der roten Fahne.

Singen verbindet, auch im politischen Kampf. »Als er sein erstes Lied komponierte, gab es höchstens zehn Arbeitersozialisten. Eugène Pottiers historisches Lied ist heute Dutzenden von Millionen Proletariern bekannt«, schrieb ein Bewunderer Pottiers. Es war Lenin in der »Prawda«. Der kannte auch schon die Melodie von Pierre Degeyter von 1888. Die deutsche Übersetzung »Wacht auf, Verdammte dieser Erde« stammt von Gewerkschafter Emil Luckhardt. Der war auch Bierbrauer. Wie des öfteren zu lesen ist, soll Luckhardt das französische Original politisch abgeschwächt und romantisiert haben: Mehr Schunkeln, weniger Aufruhr. Kneipengesang und Polithymne, es war wohl schon damals dicht beieinander. Und ist es bis heute. jha