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»Nur Dialog kann die Lage im Tschad entschärfen«

Der Sprecher der Front für Wandel und Eintracht im Tschad (FACT), Kingabé Ogouzeïmi de Tapol, über die Ziele der Bewegung

  • Mirco Keilberth
  • Lesedauer: 5 Min.

Was sind die Ziele der Front für Wandel und Eintracht im Tschad (FACT)?

Die Front für Wandel und Eintracht besteht aus verschiedenen gesellschaftlichen und ethnischen Gruppen und aus Patrioten, die eine Alternative zu dem bestehenden Regime suchen. Eine demokratische Republik Tschad ist unser Ziel.

Kingabé Ogouzeïmi de Tapol
ist Sprecher der Rebellengruppe Front für Wandel und Eintracht im Tschad (FACT) und koordiniert die politische Strategie. Der 61-Jährige war von Oktober bis Dezember 1990 Generalsekretär der Regierung von Premier Michelot Yogogombaye. Dann marschierte Idriss Déby mit seinen Anhängern im Tschad ein: De Tapol gründete eine demokratische Partei, musste aber vor den Einschüchterungen ins Schweizer Exil fliehen. Der Jurist und Politologe lehrt derzeit protestantische Theologie an der Universität Genf. Mit ihm sprach Mirco Keilberth.

Aber die Kämpfer der Fact gehören doch mehrheitlich der Volksgruppe der Tobu an.

Ich bin aus Mundu im Süden des Tschad und ich bin Christ - wir sind auch im Osten und Westen vertreten. Dass der Anführer der FACT aus dem Norden kommt und wie viele seiner Mitstreiter Tobu ist, macht uns nicht zu einer ethnischen Bewegung.

Wie ist die Lage im Tschad zurzeit?

Frankreich versucht alles, um einen nationalen Dialog zu verhindern und seine Interessen in der Region durchzusetzen. Wir können die von den Militärs verordnete Regierung nicht akzeptieren, wir wollen einen verfassungsgemäßen Übergangsprozess, wie er nach dem Tod des Präsidenten vorgesehen ist. Die Blockade eines nationalen Dialogs hat uns schon vor dem Tod Idriss Débys dazu gezwungen, eine Oppositionsallianz zu formen, die das durchsetzt, was die Mehrheit der Tschadier will.

Ist der Tschad zwischen den Ethnien gespalten?

Es gibt im Süden mehrheitlich Christen, im Norden mehrheitlich Muslime und dazu 250 ethnische Gruppen. Niemand hat die genauen Zahlen. Ich weiß zum Beispiel nicht, wie viele Christen im Süden leben. Aber es ist auch nicht wichtig, denn die ethnischen und religiösen Grenzen dürfen nicht im Vordergrund stehen; sie wurden unter Déby missbraucht. In einem demokratischen Land geht das nicht. Daher kritisiere ich auch scharf, was der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian in einer Rede geäußert hat: Er behauptet, dass die Volksgruppe der Tobu mithilfe der FACT die Macht im Tschad übernehmen wolle.

Gleichzeitig hat Frankreich eine Armee unterstützt, die hauptsächlich aus Zaghawa besteht, einer ethnischen Gruppe, die nur acht Prozent der Bevölkerung ausmacht, aber durch den Déby-Clan an der Macht ist. Die Aussagen von Le Drian sind in einer Region mit so vielen ethnischen Gruppen auf beiden Seiten vieler Landesgrenzen extrem gefährlich.

Wollen Sie damit sagen, dass der Versuch der FACT, die Regierung zu stürzen - so wie es andere Gruppen in den letzen Jahren bereits versucht haben -, zu einem ethnischen Konflikt wie in Ruanda führen kann?

Am 22. April sind Zaghawa-Milizen aus der sudanesischen Region Darfur nach N’Djamena gekommen, um die Regierung zu verteidigen. Zurzeit sind diese Gruppen an den Kämpfen bei Mao beteiligt. Eine Explosion im Tschad hätte starke Auswirkungen auf die Friedensprozesse in Libyen und dem Sudan. Und die ethnischen Spannungen nahmen bereits nach Le Drians Rede zu, als in Orten südlich von N’Djamena von Staatsmedien gegen Tobu gehetzt wurde. Wir wollen kein zweites Ruanda.

Wir haben es doch im Irak und in anderen Ländern gesehen, dass eine Minderheit, die lange an der Macht war und diese durch das Ende einer Diktatur verliert, leicht aufzuhetzen ist. Die Le-Drian-Rede hatte schon konkrete Zwischenfälle zwischen Ethnien zur Folge. Frauen der Zaghawa wurden gegen andere Gruppen aufgehetzt. Im Radio hören wir in den letzten Tagen regelrechte Hetzkampagnen - ich will gar nicht näher darauf eingehen, um nicht selbst zu polarisieren. Ich will nur sagen, dass die Elemente für ein ruandisches Szenario vorhanden sind, und nur ein Dialog die Lage entschärfen kann.

Ihre Bewegung hat doch der Regierung den Krieg erklärt, nicht andersherum.

Wir haben keine Chance gesehen, die Weigerung der Regierung zu einem nationalen Dialog zu durchbrechen. Wir wollen aber auch keinen Krieg in der Hauptstadt. Die neue Machtbalance wäre ein guter Moment für einen Kompromiss, der für uns aber auch die Machtübergabe an die verfassungsgemäßen Institutionen zur Folge haben muss, also das Parlament - nicht ein Militärrat.

Welches Szenario sehen Sie für die Region, die ja schon durch den Libyen-Konflikt und die Islamisten in Mali und rund um den Tschad-See unsicherer geworden ist?

Mit der Ankunft der Toroboro-Milizen, die Teil der Zaghawa sind und Mahamat Déby unterstützen, haben wir ja nun schon den Darfur-Konflikt im Sudan. Die FACT war zuvor in Libyen und hat 2500 Kilometer zurückgelegt, um wieder in ihre Heimat zu kommen. Daran sehen Sie, wie alles in der Region verwoben ist: Ein ethnischer Konflikt muss unter allen Umständen verhindert werden.

Die Mehrheit der Tschadier will diesen auch nicht. Europa kann doch kein Interesse daran haben, dass mit dem Tschad auch Darfur und die südlich vom Tschad-See gelegenen Länder untergehen.

Wie sieht die militärische Lage nördlich von N’Djamena aus?

Die französischen Mirage-Flugzeuge klären unsere Stellungen auf. Nachdem sie die sich immer wieder verlagernde Front überflogen haben, bombardieren die Regierungsflugzeuge, einige werden von Söldner-Piloten geflogen. Unsere Einheiten verstecken sich in den Oasen. Insofern gibt es ein militärisches Patt. Aber den europäischen Partnern Frankreichs muss klar sein, dass die Operation »Barkhane«, die Europa als Anti-Terror-Mission unterstützt, nun eine Diktatur unterstützt, deren Zeit aus Sicht der Bevölkerung abgelaufen ist.

Sollte die Operation »Barkhane« eingestellt werden?

Den Anti-Terror-Einsatz der »Barkhane«-Mission wollen wir nicht infrage stellen, die Gefahr der Radikalisierung in entstaatlichten Gebieten haben wir in der gesamten Sahel-Region erleben müssen. Aber die Antwort darauf darf nicht der Missbrauch von Militärmacht für undemokratische Strukturen sein, sondern muss Dialog sein. Wir sind dazu bereit, und die Opposition im Tschad hat ja bereits einen Waffenstillstand gefordert. Europa sollte seine von Frankreich bestimmte Strategie überdenken.

Was ist der Weg aus der Krise?

Die Organisation von fairen Wahlen. Das wollen wir wie alle anderen Oppositionsgruppen und die Zivilgesellschaft.
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