Machtmaschine Theater

Skandalgewitter: Die Theater sind in eine Leitungskrise geraten - oder stecken sie nur im altbekannten ökonomischen Dilemma?

Die Theater - sieht man von kurzen kulturellen Intermezzi ab - sind seit Mitte März letzten Jahres unbespielt. Und trotzdem herrschte selten so viel mediale Aufmerksamkeit für die Arbeit auf und hinter den Bühnen im deutschsprachigen Raum wie in den vergangenen Monaten. Ein Skandalgewitter ist ausgebrochen. Klaus Dörr, gerade noch als Retter der Berliner Volksbühne gerühmt, die durch das jähe politisch gewollte Ende der Intendanz Frank Castorfs in die Krise geraten war, hat schnell seinen Platz als Leiter des Theaters in Berlin-Mitte geräumt. Zuvor waren Anschuldigungen der sexuellen Belästigung bekannt geworden. Die berechtigte Aufregung war kaum verklungen, als Berichte von rassistischen Probensituationen am Düsseldorfer Schauspielhaus an die Öffentlichkeit gelangten. Weitere Bühnen auf der langen Liste der erst kürzlich in Verruf geratenen Spielstätten: Staatstheater Karlsruhe, das Burgtheater in Wien, das Staatsballett und das Theater an der Parkaue in Berlin, um nur einige zu nennen.

Jüngstes Beispiel für die Krisenhaftigkeit der gesamten Institution ist das Berliner Maxim-Gorki-Theater: Die Intendantin Shermin Langhoff, deren Vertrag erst kürzlich bis ins Jahr 2026 verlängert wurde, soll massiven Druck auf die Angestellten des von ihr geleiteten Hauses ausgeübt haben. Von einem autoritären Herrschaftsstil und cholerischen Ausbrüchen Langhoffs war in der »Süddeutschen Zeitung« die Rede. Johanna Höhmann, deren Anstellung als Dramaturgin an der Bühne im Sommer enden soll, hat gegen die Nichtverlängerung ihres Vertrags vorm Bühnenschiedsgericht geklagt und einen Vergleich erwirkt. Dass ihr Vertrag nicht verlängert wurde, stehe im Zusammenhang mit einem Beschwerdebrief, den sie gemeinsam mit Kollegen als Reaktion auf das Auftreten der Intendantin verfasst habe. Das Gorki-Theater hat sich den Ruf einer Vorzeigekultureinrichtung erarbeitet: mit einem diversen Ensemble, Stoffen und Themen nah an aktuellen Diskursen und mit eindeutiger politischer Botschaft - die an diesem Haus mitunter auch auf Kosten der Kunst vorgetragen wurde.

Das Bild des Theaters verdankt sich aber auch der Personalie Langhoff, die als in der Türkei geborene Frau 2013 im Alter von 43 Jahren das Haus übernommen hatte. Langhoff war das Gegenmodell zum alten weißen Mann auf dem Theaterthron. Dass sich die Probleme an den Bühnen auf so einfache Weise, durch bloße Ersetzung einer Person durch eine andere, allerdings nicht lösen lassen, sondern Veränderungen von radikalerer Art sein müssen, ist spätestens damit eindrücklich bewiesen. »Der Ruf des Maxim Gorki Theaters ist in Gefahr«, titelte unlängst »Der Tagesspiegel« - als ginge es nicht um viel mehr als nur um ein einzelnes Theater und dessen Ruf.

Von Theaterbeschäftigten, Aktivisten, Medien wird lautstark verkündet, es handele sich um ein strukturelles Problem an den Theatern. Nun sieht es jedoch ganz danach aus, als würde nicht strukturell an der Lösung gearbeitet, sondern als müsste - bildlich gesprochen - ein Intendantenkopf nach dem anderen rollen. Aber wie kann ein wirklicher Weg aus dem Elend der Theater aussehen, die momentan reihenweise Skandale produzieren?

Eine regelmäßig vorgebrachte Forderung zur Besserung der Lage darstellender Künstler sieht die Orientierung an der sogenannten freien Szene vor. Projektweises Arbeiten, flache Hierarchien, Flexibilität - das seien die Vorteile von Off-Theatern und Produktionshäusern ohne festes Schauspielensemble und ohne herkömmliches Repertoire. Was ein bisschen nach Start-up-Chic und neuer Unternehmensführung in neoliberalen Zeiten klingt, das entspricht auch genau dem: Für ein anarchisches Gefühl soll Kunstproduktion ohne die geringste institutionelle Absicherung stattfinden. Damit ist jedoch Theaterschaffenden ebenso wenig geholfen wie mit rein ästhetischen Antworten auf soziale und strukturelle Probleme. Die euphemistisch anmutende Bezeichnung »freie Szene« schließt den freien Fall nicht aus: Die Spielstätten sind hart umkämpfte Orte. Wer hier künstlerische Arbeiten zeigen darf, muss zuerst Durchhaltevermögen beweisen. Haben die Häuser - wie in vielen Fällen - keine eigenen Produktionsetats, müssen die Künstler selbst das Geld mitbringen: aus der eigenen Tasche notfalls oder aber aus Fördermitteln. Wenn indes darstellende Künste durch öffentliche Zuwendungen gefördert werden, sollte das dann wirklich für Einzelprojekte geschehen, statt tarifliche Löhne und ein Mindestmaß an sozialen Standards zu gewährleisten, wie es immerhin an Stadt- und Staatstheatern der Fall ist?

Neue Leitungsmodelle und mehrköpfige Führungsteams sind ein anderer Vorschlag, um Machtmissbrauch an Theatern vorzubeugen. Der lässt allerdings außer Acht, dass bereits seit Jahren an Theatern unterschiedlichste Leitungsstrukturen bestehen. Zumindest kaufmännische Geschäftsführung und künstlerische Leitung sind vielerorts personell getrennt. Der gänzlich alleinherrschende Intendant ist zum Teil auch eine Konstruktion.

Aber wie ergibt sich dieser Eindruck, und wieso ist von derartig vielen Übergriffen innerhalb von Theatern die Rede? Missbrauch wird leichter möglich, wo Unsicherheit und Abhängigkeit groß sind. Wo Arbeitsabläufe an Theatern nicht ausgelagert oder - wie man an den Bühnen sagt - von Gästen, also Mitarbeitern ohne Festanstellung, übernommen werden, leisten die Angestellten nach sehr eigenen Regeln ihren Beitrag. Die tarifliche Mindestgage, die mitunter durch Haustarifverträge sogar noch unterschritten wird, sieht ein Jahresgehalt deutlich unter 30 000 brutto Euro vor. Dass der Theateralltag nicht mit täglich acht Arbeitsstunden auskommt sowie Verpflichtungen an Abenden, Wochenenden und Feiertagen erfordert, lässt diesen Umstand noch schwerer wiegen.

Eine Eigenart in den Arbeitsverträgen von Bühnenbeschäftigten, die jeden Gewerkschafter das Blut in den Adern gefrieren lassen dürfte, ist die nur saisonweise Verlängerung. Somit bleiben zwar kurzfristige Kündigungen in der Spielzeit die Ausnahme, aber praktisch gesehen erhalten Angestellte am Theater immer wieder auf ein Jahr befristete Verträge. Der Grund dafür liegt in der Aufrechterhaltung der künstlerischen Flexibilität. Im krassen Gegensatz dazu stehen die Intendanten mit ihren hoch dotierten Posten, deren Verträge weitaus längere Laufzeiten aufweisen. Wird also auf der gut bezahlten Leitungsebene Zeit für bessere Planbarkeit eingeräumt, haben die kleinen Rädchen in der Kollektivkunstform Theater das Nachsehen. Wenn innerhalb eines Betriebs ein derartiges Ungleichgewicht herrscht, wird Machtmissbrauch damit zumindest begünstigt. Wenn der Arbeitsplatz nicht sicher ist, wird es nicht leicht sein, sich gegen Übergriffe zu wehren.

Erste Schritte zu einer besseren Lage für Beschäftigte am Theater, die über bloßen Aktionismus hinausgehen, wären die Offenlegung der Intendantengehälter, die Anhebung und Durchsetzung der Mindestgagen, letztlich ein sozialer Ausgleich an den Bühnen sowie Verträge, die mehr und längerfristig Sicherheit für die Bühnenangestellten versprechen.

Theater sind trotz alledem ein gefragter Arbeitsort. Es lockt die künstlerische Selbstverwirklichung - oder zumindest die Idee davon. In einer durchökonomisierten Gesellschaft scheint es ein Privileg zu sein, sein Geld durch das Wirken am Theater verdienen zu können. Aber: Die Gesetzmäßigkeiten der Arbeitswelt sind am Theater nicht ausgeschaltet, und letztlich ist der Markt der Feind der Kunst. Dass Theaterhochschulen jährlich eine Vielzahl von jungen Absolventen entlassen, die nicht nur spielen können, sondern auch wollen, macht es nicht leichter.

Die Corona-Pandemie, der zuerst die freien gastierenden Künstler zum Opfer gefallen sind, wird ihre langfristige Wirkung auf das Theater erst noch zeigen. Zurzeit wird eine Inszenierung nach der anderen premierenreif geprobt - und die Krise vorerst vertagt. Folgeaufträge bleiben für viele aus, bis das angehäufte Repertoire »abgespielt« ist. Und an den Bühnen dürfte sich bald ein Trend der letzten Jahre verschärfen: kürzere Produktionszeiten, weniger Geld für künstlerische Experimente, personelles Outsourcing als Normalfall.

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