nd-aktuell.de / 14.05.2021 / Kultur / Seite 13

»Dümmster Titel ever«

Die Schweiz diskutiert über ein neues Sexualstrafrecht. »Sex nur noch mit Zustimmung?« titelte daraufhin die Neue Züricher Zeitung und erntete erstaunte bis wütende Reaktionen

Birthe Berghöfer

Sex, der nicht auf beiderseitigem Einverständnis beruht, ist eine Vergewaltigung. Das sollte klar und gesellschaftlicher Konsens sein – auch wenn die Gesetzgebungen mancher Länder an diesem Punkt noch hinterherhinken. Zum Beispiel die der Schweiz: Dort braucht es für den Straftatbestand der Vergewaltigung immer noch Gewalt, Drohung oder psychischen Druck seitens der Täter*innen. Doch das soll sich bald ändern: Jurist*innen und auch viele Kantone fordern einen Paradigmenwechsel im Sexualstrafrecht.

In ihrer Berichterstattung zur Debatte titelte die »Neue Zürcher Zeitung« (NZZ) daher mit der Frage: »Sex nur noch mit Zustimmung?« Ironischerweise war es gerade das Fragezeichen, das hier fragwürdig war. »Natürlich! Was denn sonst?«, lauteten die Reaktionen auf Twitter. »›Sex nur mit Zustimmung.‹ (.) PUNKT. Da gehört ein Punkt hin! Was das für eine kack Zeitung!«, schreibt etwa eine Userin mit dem Namen Dr. Joelina TransParent. Ein Ausrufe- statt Fragezeichen wäre sicher besser gewesen. »Dümmster Titel ever«, kommentiert die Netzaktivistin Jolanda Spiess-Hegglin. Viele andere User*innen twitterten sachliche Klarstellungen, zum Beispiel die Autorin Annika Brockschmidt: »Sex ohne Zustimmung ist Vergewaltigung.«
»Ja, der Titel ist verkürzt«, erklärte die NZZ daraufhin – und änderte die Überschrift der Onlineversion in »Sex nur mit expliziter Zustimmung?« Allerdings hätte im Kontext und durch weitere Textstellen klar werden können, was gemeint ist, ist in dem NZZ-Tweet weiter zu lesen. »In der Schweiz gilt heute Sex ohne Zustimmung (noch) nicht zwingend als Vergewaltigung.«
Es ist eine Erklärung, die auf die Kritik im Netz nur wenig eingeht – nämlich, dass der Titel suggeriere, Sex ohne Zustimmung sei überhaupt möglich. Das aber ist er nicht. Nicht einvernehmlicher Sex ist kein Sex, sondern sexualisierte Gewalt. Die Frage, ob Sex der Zustimmung aller Beteiligten bedarf, stellt sich also gar nicht. »Nur weil es noch nicht geltendes Recht ist in der Schweiz, sollte es ja trotzdem allgemeiner Konsens sein, dass Sex nur mit Zustimmung Sex ist. Der Titel widerspricht diesem Konsens«, kommentiert Jorinde Wiese, Aktivist*in auf Twitter.
Dabei scheint man sich auch in der Schweiz darüber einig zu sein, das aktuelle Sexualstrafrecht reformieren zu müssen. Die Frage ist nur, wie: Nach dem Grundsatz »Nein heißt Nein« oder doch nach dem Prinzip »Nur Ja heißt Ja«? Ersteres gilt in Deutschland seit 2016 und bedeutet, dass sexuelle Handlungen strafbar sind, wenn sie gegen den erkennbaren Willen einer Person geschehen. Die Person, die keinen Sex haben möchte, muss das also deutlich machen. Nur: Dann hat der Übergriff bereits begonnen.
Der Grundsatz »Nur Ja heißt Ja« hingegen verschiebt den Fokus: Entscheidend ist nicht, dass und wie erkennbar sich eine Person gewehrt hat, sondern warum die Beteiligten davon ausgehen konnten, dass auf beiden Seiten Einverständnis herrschte. Das darauf beruhende schwedische »Samtyckeslag« (Einverständnisgesetz) sollte mit seinem Inkrafttreten 2018 daher auch zur Entstehung einer neuen Konsenskultur führen: Statt ein gewisses Verhalten zu kriminalisieren, sende das Gesetz »eine klare und normative Botschaft und kann auf diese Weise die Werte der Menschen beeinflussen«, so die Formulierung im Gesetzesentwurf der schwedischen Regierung.
Tatsächlich reiht sich die missglückte Überschrift der NZZ ein in eine lange Reihe mehr als fragwürdiger Formulierungen in deutschsprachigen Medien: wenn Gewalt gegen Frauen und Femizide als »Familiendrama« oder »Beziehungstat« bezeichnet werden. Und statt Vergewaltigung oder sexualisierter Gewalt ist oft von »Sex-Vorwürfen«, »Sex-Skandal« oder schlicht »erzwungenem Sex« zu lesen. Damit wird Gewalt verharmlost und unsichtbar gemacht.