nd-aktuell.de / 15.05.2021 / Wissen / Seite 24

»Der Kehlkopf ist der Knackpunkt«

DR. SCHMIDT ERKLÄRT DIE WELT

Christof Meueler
Der Kehlkopf ist der Knackpunkt

Die Menschen im Westen werden immer älter. Und damit auch die Popmusiker. Aber es gibt ein Problem: Die Stimme macht nicht mehr so gut mit. Kann man die nicht trainieren?

Das Problem haben diese Sänger und Sängerinnen ja schon zu Beginn ihrer Karriere. Die meisten haben keinerlei Ausbildung. Und die stilistische Vorgabe besteht oft darin, dass sie an der einen oder anderen Liedstelle kreischen oder schreien müssen. Das ist sehr anstrengend. Ian Gillan von Deep Purple gibt auch zu, dass er die hohen Töne von »Child in Time« schon lange nicht mehr hinbekommt. Die sind natürlich blankes Gift für den Kehlkopf, denn das ist ja der Knackpunkt.

Der Kehlkopf ist der Knackpunkt?

Am Anfang aller Töne steht der Kehlkopf, das ist gewissermaßen unser Musikinstrument. Die Luft wird durch den Kehlkopf geblasen, über die Stimmlippen, die Stimmbänder. Je größer der Kehlkopf, je länger die Stimmbänder, desto tiefer sind die Töne, die rauskommen. Deswegen haben singende Jungs oftmals das kleine Problem, dass einstige Sopranstimmen im Stimmbruch plötzlich bis in den Bass absacken.

Also der Untergang im Knabenchor.

Ja, sozusagen, aber für eine gute Stimme ist in den meisten Chören auch Platz, schließlich sind auch tiefe Tonlagen zu besetzen.

Es gibt ja auch noch Autotune.

Ja, aber das wird nicht ganz zu einem vergleichbaren Ergebnis führen. Wenn es damit so einfach wäre, würde Ian Gillan wahrscheinlich »Child in Time« immer noch singen, tut er aber nicht. Und Opernsängern hilft es gar nichts.

Opern werden bis heute ohne Mikrofon gesungen?

Ja. Die müssen sehr viel geben. George Bernhard Shaw hat Verdi vorgeworfen, dass er die Sänger kaputtmachen würde, weil er die Rollen fast alle in den extremen Rändern der Stimmlage singen lässt. Also die Soprane und Tenöre an der oberen Grenze und die Bässe und Altistinnen an der unteren Grenze.

In der Popmusik gibt es Sonderfälle: Bob Dylan, der diesen Monat 80 wird, hat seine Schmirgelstimme zum Markenzeichen erhoben.

Stimmt. Je älter, desto mehr. Inzwischen hat er mit einer schon fast toten Stimme so etwas gnadenlos Authentisches, dass es schon wieder gut ist. Ähnlich wie Johnny Cash in seinen letzten Aufnahmen.

Oder Tom Waits.

Naja, Waits hat das von Anfang an so kultiviert. Das sind bei ihm ja auch eher Sprechgesänge. Singen ist da nur Kann, aber nicht Muss, während es bei Dylan durchaus schon eine Art Singen ist.

Und was sagst du zu Nina Hagen?

Tja, ich habe sie lange nicht mehr singen hören. Sie hat eine wirklich grandiose und vielseitige Stimme. Aber einen ausgesprochen schlechten Geschmack, finde ich.