Greif zur Feder

Ausstellung in Berlin über Arbeiterschriftsteller*innen

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 4 Min.

«Die Gewehre der Frau Carrar», «Das Leben des Galilei», Der gute Mensch von Sezuan«. Brecht-Liebhaber*innen sind diese Titel natürlich bekannt. Die Bücher liegen auf einen Tisch in der Galerie Futura am Flutgraben 3 in Berlin-Treptow. Dort widmet sich die Berliner Konzeptkünstlerin Ina Wudtke unter dem Titel »Greif zur Feder« der Geschichte der marxistischen Arbeiterschriftsteller*innen in der Weimarer Republik und in der DDR. Mit der Exposition will sie auch das verzerrte Bild von den »Goldenen Zwanziger Jahren« korrigieren, das die individuelle Freiheit einer kleinen Mittelschicht in den Großstädten betont. Wudtke legt dagegen das Augenmerk auf die Freiheiten, die sich damals vor allem der linke Flügel der Arbeiter*innenbewegung kollektiv erkämpft hat.

Die Arbeiterschriftsteller*innen, die über das schrieben, was sie an ihren Arbeitsplätzen, an Stempelstellen und in ihren beengten Wohnungen erlebten, sind für Wudtke wichtiger Ausdruck eines kollektiven Emanzipationsprozesses. Schon in früheren Arbeiten hat sie sich mit Margarete Steffin befasst, die für sie diesen Prozess der Selbstermächtigung verkörperte. Obwohl faktisch Ko-Autorin vieler wichtiger Romane von Brecht, wurde sie lediglich als Mitarbeiten im Innenteil seiner Bücher geführt. Daraus entwickelte Wudtke ihr Kunstprojekt »Vorschlag für eine zukünftige Ausgabe«, das auf dem erwähnten Tisch ausgebreitet ist und Margarete Steffin auf Covern als Koautorin angibt. Es habe allerdings, so Wudtke, gute Gründe gegeben, warum ihr Name seinerzeit nicht auf den Titeln erschien. Sie habe im dänischen Exil bei Brecht keine Aufenthaltsgenehmigung gehabt. Doch gerade in diesen sieben Jahren wurde sie zur Stimme der Arbeiter*innen in dessen Werk. Wudtke nennt als Beispiel Szenen in »Furcht und Elend des Dritten Reichs«. Verzweifelt bemühte sich Brecht 1940 um ein US-Visum für die noch nicht weithin bekannte Margarthe Steffin, die auch Schauspielerin war. Wudtke spricht von immer verzweifelter klingenden Briefen. Denn das langjährige KPD-Mitglied, inzwischen in sowjetischer Emigration, drohte in Moskau in Stalins Tertor zu geraten. Enge Freund*innen waren schon verhaftet und erschossen. Es war dann eine nicht ausgeheilte Tuberkulose, an der sie 1941 mit nur 32 Jahren starb.

»Das Lied vom Schiffsjungen«, das sie 1934 geschrieben hat, ist der einzige Text von Margarete Steffin, der zu ihren Lebzeiten veröffentlicht wurde, 1936 in der Moskauer Exilzeitung »Das Wort«. Das Lied stammt aus ihrem Kindertheaterstück »Wenn er einen Engel hätte«. Damals hatte die KPD Arbeiterschriftsteller*innen aufgerufen, Kinderliteratur zu verfassen. Der Berliner Pianist Andrej Hermlin und sein Sohn, der Sänger David Hermlin, performten eine eigene Version der bislang unveröffentlichten Komposition von Hanns Eisler zu Steffins Songtext, in der Ausstellung in einem sechsminütigen Video zu erleben.

Ein weiteres Video zeigt ein Interview, das Wudtke mit dem Schriftsteller Gerhard Wolf über die Fortsetzung der Geschichte der Arbeiterschriftsteller*innen in der DDR geführt hat. Er betreute mit seiner Frau, der Schriftstellerin Christa Wolf, zwischen 1959 und 1962 im Waggonbau Ammendorf in Halle einen Zirkel schreibender Arbeiter. Wolf spricht in dem erstmals veröffentlichten Interview vom gesellschaftlichen Aufbruch in der DDR-Literatur, der mit dem Bitterfelder Weg von 1959 verknüpft war. Die Initiative ist von dem in der Weimarer Republik bekannten Arbeiterschriftsteller Otto Gotsche ausgegangen. Eine Großveranstaltung mit über 700 Besucher*innen im Bitterfelder Kulturhaus war der Höhepunkt. Wolf erzählt auch davon, wie der kulturpolitische Aufbruch von Bitterfeld von der Bürokratie bald ausgebremst wurde. Denn die Arbeiterschriftsteller*innen lieferten nicht die erhoffen und erwünschten Bilder von glücklichen Proletarier*innen, die in ihrer Arbeit in den Volkseigenen Betrieben totale Erfüllung sehen. Sie schilderten vielmehr Widersprüche. Der Umgang mit dem Roman »Rummelplatz« von Werner Bräuning ist ein Beispiel hierfür. Der Roman durfte nicht erscheinen, der Autor zerbrach daran und starb früh. Von ihm stammt das Motto der Bitterfelder Konferenz »Greif zur Feder, Kumpel«, das Wudtke für ihre Ausstellung übernahm.

Pandemiebedingt war die interessante Ausstellung bis dato geschlossen; ab Mittwoch, den 19. Mai, ist sie für Besucher unter Einhaltung der Hygieneregeln geöffnet. Und am 20. Mai spricht Ina Wudtke auf einer Onlineveranstaltung unter dem Titel »Kunst ist Waffe. Arbeiterschriftsteller*innen von den 1920er Jahren bis heute«. Eine Anmeldung ist erforderlich und möglich unter: mail@alpha-nova-kulturwerkstatt.

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