nd-aktuell.de / 19.05.2021 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 15

Ganz neues Erlebnis Friseurbesuch

Nach kurzem Wiedereröffnungsboom kämpfen die Betriebe längst wieder mit kräftigen Umsatzeinbußen

Hermannus Pfeiffer, Hamburg

Handwerk hat goldenen Boden, heißt es. Derzeit sieht es anders aus: Von einer »gespaltenen Konjunkturentwicklung« spricht Holger Schwannecke, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH). Einige Berufsgruppen wie Bau, Klempner oder Zimmerleute könnten sich vor Aufträgen kaum retten. Andere Teile des Handwerks seien weiter von Einschränkungen hart getroffen. Schwannecke zählt Dienstleister der Hotellerie, also etwa Wäschereien und Gebäudereiniger, oder die Veranstaltungstechnik auf. Dazu kommen Friseure.

»Es ist eine wirtschaftliche Katastrophe«, klagt eine Friseurmeisterin, deren alteingesessenes Geschäft in Hamburg südlich der Elbe liegt und die nicht namentlich genannt werden möchte. Die Friseure sind zwar selbst in der Hansestadt, die einen besonders konsequenten Lockdown-Kurs fährt, seit dem 1. März wieder geöffnet. Doch nach kurzem Aufschwung kämen wieder deutlich weniger Kunden. Viel hänge vom Alter der Kundschaft und vom Standort ab. Gerade die 60- bis 75-Jährigen seien des Testens überdrüssig; ohne Test ist aber ein Friseurbesuch nach wie vor verboten. »Viele Rentner sind extrem frustriert und vereinsamt«, so die Ladeninhaberin.

Jeder Betrieb muss seine genauen Festlegungen oder ein Hygienekonzept der Berufsgenossenschaft vorlegen. Darunter fällt auch eine angemessene Begrenzung der Personenanzahl in den Räumlichkeiten. In der Praxis ist dies keineswegs banal: Für Betriebe mit Angestellten bedeutet das nämlich eine gänzlich andere Personaleinteilung und für die Beschäftigten ungünstige Arbeitszeiten. Auch die ausreichende Lüftung ist eine Herausforderung, entsprechende Geräte teuer.

Aktuell sieht das »Erlebnis Friseurbesuch« dann so aus: Erst vereinbart man einen Termin, der zwingend erforderlich ist. Kundinnen und Kunden müssen einen tagesaktuellen Coronatest mitbringen. Wahlweise kann draußen vor dem Salon ein Schnelltest durchgeführt werden. Friseure, welche die Corona-Regeln ernst nehmen, haben dazu online eine Weiterbildung gebucht und beispielsweise einen Regenschutz vor dem Salon errichtet. Kunden müssen FFP2-Masken tragen und ihre Kontaktdaten hinterlegen.

Für die Friseure spielt auch der Standort eine andere Rolle als früher. In Hamburg klagt man, dass viele Kunden wegen der dort lockereren Corona-Auflagen nach Niedersachsen oder Schleswig-Holstein ausweichen. Mit dem Auto ist für viele Hamburger, die im Norden oder Süden der Stadt wohnen, der nächste Friseur im anderen Bundesland nur wenige Minuten entfernt.

Eine Nachfrage bei zwei Salons in Eppendorf und der Hafen-City ergibt, dass diese besser klarkommen. Für Bewohner solcher Innenstadtlagen ist eine Stadtflucht unpraktisch. Außerdem besteht die Klientel überwiegend aus jüngeren Berufstätigen, für die Coronatests längst zum Alltag gehören.

Es gibt ein weiteres Problem, von dem man immer wieder hört: Mancher Friseur geht mit den Corona-Regeln äußerst lax um. Kunden werden auch schon mal ohne Testbeleg und Kontaktdaten frisiert. Zum Ärger unserer Friseurmeisterin: Sie wünscht sich mehr staatliche Kontrollen, dann wären auch viele Geschäftsschließungen nicht nötig gewesen. In ihren Salon kam erst nach einem Jahr ein Kontrolleur.

Friseure, etwa 90 Prozent sind Frauen, gehören zu den Handwerksberufen mit niedrigem Einkommen. Viele der etwa 150 000 Lohnabhängigen sind nach dem kurzzeitigen Boom nach Wiederöffnung im März wieder in Kurzarbeit. »Ich stocke das Gehalt zwar auf, aber unterm Strich haben meine Angestellten weniger als früher«, sagt die Friseurmeisterin. Außerdem fehle ihnen das Trinkgeld, weil ja deutlich weniger Kunden kommen.

Die durchschnittlichen Einnahmen des Betriebes sind in der Coronakrise um rund 20 Prozent gesunken, trotz Preiserhöhungen. Hier fehle ein sozialer Ausgleich durch die Politik, klagt die Meisterin. Noch schlimmer als die finanziellen Verluste seien aber »die psychischen Belastungen« durch erschwerte Arbeitsbedingungen und durch Kunden, die beim Hinweis auf die Corona-Regeln teils »richtig bockig auftreten«. Ihre Mitarbeiterinnen hätten das bittere Gefühl: »Immer auf die Kleinen!«

Mit dem Rückgang der Inzidenzwerte gibt es nun erneut Änderungen. Nachdem einzelne Bundesländer vorgeprescht waren, beschloss der Bund, dass für vollständig Geimpfte und Corona-Genesene die Testpflicht bundesweit auch beim Friseur entfällt. Hamburger Betrieben bereitet das eher Sorgen. Noch sei die Neuregelung kaum bekannt, so die Friseurmeisterin. Und die Zahl der Privilegierten sei sehr klein, während sich die große Mehrzahl diskriminiert fühlt und erst recht wegbleiben könnte.

Wirtschaftlich wird es für viele der über 80 000 Friseurbetriebe in Deutschland eng. Rückzahlungen der im Vergleich zur Indus-trie geringen Corona-Hilfen stehen trotz des tiefen Umsatzeinbruches an, Mietnachzahlungen werden fällig. »Dabei haben Friseure noch Glück«, so die Hamburger Meisterin tapfer. Andere körpernahe Dienstleistungen hätten länger schließen müssen.

ZDH-Präsident Schwannecke fordert denn auch, dass all den gebeutelten Betrieben so lange vom Staat geholfen werden müsse, »wie sie durch Corona in Liquiditätsschwierigkeiten stecken«. Die Hilfsprogramme müssten zudem besser an die Bedürfnisse der darbenden Handwerker angepasst werden.