nd-aktuell.de / 21.05.2021 / Berlin / Seite 11

Von wegen Gut Holz

Baubranche besorgt wegen akuter Materialengpässe - ansonsten sind die Aussichten golden

Nicolas Šustr

»Innerhalb von 24 Stunden gibt es zum Teil Preissprünge um 20 Prozent«, sagt Klaus-Dieter Müller. »Für Baustahl liegen die Lieferzeiten bei sechs bis acht Wochen, Dämmmaterial ist zum Teil überhaupt nicht verfügbar, beim Holz ist es ganz dramatisch, so, dass größere Holzbauten derzeit gar nicht realisierbar sind«, nennt der Stuckateurmeister, der zugleich Präsident der Fachgemeinschaft Bau Berlin-Brandenburg ist, einige Beispiele für die derzeit dramatische Versorgungslage der Baustellen in der Region.

Schon im ersten Lockdown 2020 habe es Schwierigkeiten gegeben. Müller hebt besonders fehlende Stahlrohre und Pumpen aus Italien hervor. Es folgten Beschaffungsprobleme bei »Hygienematerial«, wie er es nennt, also Schutzmasken, die in der Branche nicht nur dem Infektionsschutz dienen, sondern auch dem Arbeitsschutz bei staubintensiven Tätigkeiten. Jüngst sei es wiederum schwierig gewesen, ausreichend Corona-Selbsttests zu bekommen. »Wir haben erhebliche Lieferengpässe, die sich derzeit dramatisieren«, sagt Müller auf der Pressekonferenz am Mittwoch.

Ein ins Spiel gebrachtes Exportverbot für Holz aus Deutschland wäre nach Müllers Ansicht keine Lösung. »Deutschland importiert Bauholz vor allem aus Osteuropa«, erklärt er. Das gehe aber wegen eines Baubooms aufgrund von Corona-Wirtschaftshilfen in die USA. Zugleich reduziere eine Borkenkäferplage in Kanada dessen Exporte.

Jeweils rund ein Drittel der Unternehmen äußern in einer Befragung der Fachgemeinschaft, die vor allem Mittelständler vertritt, dass Materialengpässe und steigende Materialpreise mit Blick auf die Coronakrise die aktuell größte Herausforderung sind. Rund ein Fünftel der Befragten nennt fehlende Genehmigungen - Platz drei unter den größten Sorgen. »Der Pragmatismus in der Brandenburger Verwaltung sieht ganz anders aus als in Berlin«, erklärt Müller. In der Mark seien Laptop- und IT-Ausstattung der Beschäftigten in den Genehmigungsbehörden ausreichend. Das Land habe auch angekündigt, bei vereinbarten Preisen und Terminen die aktuellen Lieferschwierigkeiten bei Baumaterial zu berücksichtigen.

In vielen Berliner Bezirken sind Beschäftigte der Genehmigungsbehörden für die Kontaktnachverfolgung von Corona-Infek᠆tionsfällen abgezogen worden. Ein besonderes Ärgernis sind die verkehrsrechtlichen Genehmigungen für Baustelleneinrichtungen, wenn Straßenland genutzt werden muss. »Besonders gut läuft es in Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg, besonders schlecht in Pankow und Charlottenburg-Wilmersdorf«, sagt Manja Schreiner, Hauptgeschäftsführerin der Fachgemeinschaft Bau. Für sie ist das auch ein Grund für den großen sogenannten Bauüberhang in der Hauptstadt. Ende 2019 waren rund 65 000 genehmigte Wohnungen nicht fertiggestellt, rund ein Drittel davon noch nicht mal im Bau. »Warte ich lange auf die Genehmigung der Baustelleneinrichtung, sind mir in der Zwischenzeit alle Gewerke abgesprungen. Dann fange ich als Bauherr wieder an, mir alle neu zusammenzusuchen«, so Schreiner. Rund 20 Prozent des Bauüberhangs könnten mit Grundstücksspekulation zusammenhängen, gibt sie an. Je länger man wartet, desto höher der Bodenwert.

2020 sank nach Angaben des Statistischen Landesamts die Zahl fertiggestellter Wohnungen in Berlin im Vorjahresvergleich um satte 14 Prozent auf etwas über 16 300. Für Manja Schreiner sind die Genehmigungsprobleme eine der Ursachen. Fachgemeinschaftspräsident Klaus-Dieter Müller verweist auf die großen Bau-Aktiengesellschaften, die sehr stark auf Unterauftragnehmer aus osteuropäischen Staaten setzten. »Die Facharbeiter kamen coronabedingt nicht ohne Weiteres über die Grenzen. Das führte bei solchen Unternehmen, die einen bis zu hundertprozentigen Anteil an Nachunternehmern aus solchen Staaten haben, zu großen Problemen«, so Müller. Baustellenschließungen wegen des Infektionsgeschehens habe es relativ wenige gegeben. Auch in Brandenburg wurden im vergangenen Jahr weniger Wohnungen fertig. Dort sank die Zahl im Vergleich zu 2019 aber nur um 3,9 Prozent auf knapp 10 500.

Doch mittlerweile drängt es immer mehr Berliner nach Brandenburg. Fast 15 000 zogen im ersten Dreivierteljahr 2020 dorthin, knapp 11 000 von ihnen in das unmittelbare Umland, den sogenannten Speckgürtel. Der Zuzug der letzten Jahre macht sich nicht nur in der Bautätigkeit bemerkbar, sondern auch in den Mieten. In der Gemeinde Schönefeld stiegen die Angebotsmieten laut CBRE Berlin Hyp Wohnmarktbericht in den letzten fünf Jahren um die Hälfte. Die Flughafengemeinde war in den vergangenen Jahren auch äußerst beliebt bei Wohnungsbau-Investoren, weil im Gegensatz zu Berlin nicht solche lästigen Auflagen wie die Verpflichtung zur Errichtung von Sozialwohnungen galten. Das will die Gemeinde aber jetzt ändern.

Auch in Oranienburg stiegen die Angebotsmieten von 2015 bis 2020 im Mittel um etwas über 43 Prozent, in Strausberg um knapp 38 Prozent und in Königs Wusterhausen um rund 34 Prozent. In der Gemeinde Grünheide ist die Tesla-Elektroautofabrik zwar erst im Bau, doch die Mieten stiegen schon bis 2020 um etwas über 39 Prozent.

»In Grünheide ist es wirklich grün für uns«, freut sich Klaus-Dieter Müller von der Fachgemeinschaft Bau. Der Flughafen BER sei fertig, aber das Umland entwickle sich stetig, die Strukturentwicklung der Lausitz sei ein Projekt über Jahrzehnte, schwärmt er über die Zukunftsaussichten. »Notwendig ist aber der Ausbau der Infrastruktur«, sagt Müller. Er meint vor allem die Schienenverbindungen. »Ich sehe es täglich auf der Berliner Heerstraße, welche Massen an Pendlern aus dem Havelland unterwegs sind.«