Feuerstättenschau

Sonntagmorgen

  • Robert Rescue
  • Lesedauer: 3 Min.

»Feuerstättenschau« ist ein interessantes Wort. Feuerstätten, das klingt wie Lagerfeuer in den Höhlen der Neandertaler oder die herrschaftlichen Kaminfeuer in den Burgen des Mittelalters. Es wundert mich nicht, dass Schornsteinfeger dieses Wort verwenden, um ihr Erscheinen anzukündigen. Vermutlich wird es von ihnen bereits seit den Höhlen der Neandertaler benutzt.

Wundern tut mich allerdings, dass die Ankündigung in unserem Hausflur hängt. Es gibt zwar noch Öfen im Haus, zum Beispiel in meiner Wohnung, aber sie werden schon seit Jahren, vielleicht Jahrzehnten nicht mehr befeuert.

Eine Woche später. Zwei junge Männer stehen vor der Tür. Sie haben Rußflecken im Gesicht. Vielleicht haben sie sich im Hof noch geschminkt, um authentisch zu wirken. Als sie mich sehen, ruft der eine: »Oh, wir haben gar keine Masken mit. Dürfen wir trotzdem rein?«

Was soll ich jetzt tun? Ihnen den Zutritt verweigern und sie wieder wegschicken? Gelten die Corona-Regeln für einen solchen Fall überhaupt? Machen sie einen neuen Termin oder müssen sie nur zum Auto? Ach verdammt, denke ich mir, lächele und halte ihnen die Tür auf.

Dass einer der beiden beim Rundgang die Toilette betritt, liegt wohl daran, dass sie mir nicht trauen. Ich habe ihnen gesagt, dass es einen Ofen im Arbeits- und einen im Wohnzimmer gibt. Vielleicht glauben sie, dass ich nicht weiß, was ein Ofen ist? Erleben sie das öfter, dass sie verdutzten Mietern erklären müssen, dass der komische Kasten, auf den sich der Bewohner keinen Reim machen konnte, in Wahrheit ein Ofen ist?

Ich höre mehrmals die Frage, ob ich die Öfen noch benutze. Ich könnte auf die Heizkörper zeigen, aber stattdessen antworte ich getreulich, dass ich das nicht tue. Ich bin doch nicht verrückt. In meinen jungen, wilden Jahren in Friedrichshain habe ich mit Kohleöfen zu tun gehabt und habe zwei Kohlenmonoxid-Vergiftungen durch verstopfte Öfen überlebt. Tagelange Kopfschmerzen und eine verpestete Wohnung, die auch nach einer Woche Dauerlüften im Winter noch deutlich nach dem Desaster roch, nein, das muss ich nicht noch mal haben.

Bei dem einen Ofen bemängeln sie, dass das Rohr etwas angerostet sei. Was erwarten die? Dass ich das poliere oder sowas? Was passiert, wenn das Rohr durchrostet? Fliegt dann das ganze Haus in die Luft? Bislang kam mir die Feuerstättenschau wie eine »Wir schauen nur mal, aber eigentlich ist alles in Ordnung«-Inspektion vor, aber jetzt keimt in mir die Vorstellung, dass die beiden gefliesten Öfen, auf denen ich Zeug abgestellt habe, in Wirklichkeit tickende Zeitbomben sind.

Der eine Schornsteinfeger kramt einen Zettel heraus und vermerkt, dass er die Feuerstättenschau abgenommen hat.

»Wir kommen übrigens alle drei Jahre«, sagt er beim Rausgehen zu mir, als ich sie salopp mit einem »Bis nächstes Jahr« verabschiede. Wirklich alle drei Jahre?, denke ich mir. Meine Güte, wie die Zeit vergeht. Ich hätte Stein und Bein geschworen, dass sie jährlich mit ihrer Feuerstättenschau um die Ecke kommen.

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