Wissenschaft als Beruf auf Zeit

Streitgespräch des Netzwerks Gute Arbeit mit dem Potsdamer Uni-Präsidenten Oliver Günther

»Lasst viele Blumen blühen!« So überschrieb Oliver Günther, Präsident der Universität Potsdam, seinen Gastkommentar in der »Deutschen Universitätszeitung«. Darin warnte er 2018, das deutsche Lehrstuhlsystem leichtfertig durch die US-amerikanische Departementstruktur zu ersetzen.

Dass er mit seiner Überschrift an eine Losung des chinesischen Staatschefs Mao von 1956 erinnerte (»Lasst hundert Blumen blühen«), war ihm bewusst. Er wollte jedoch keineswegs, dass es so ausgeht wie 1957, versichert Günther am Dienstagabend. Die chinesische Bevölkerung hatte die Aufforderung zur ehrlichen Meinungsäußerung zu ernst genommen. Die Kampagne wurde deshalb abgewürgt. Wer mit zu viel Kritik vorgeprescht war, bekam große Schwierigkeiten.

Doch am Dienstag soll mit seiner Meinung niemand hinterm Berg halten. Im Gegenteil. Das Gespräch von Oliver Günther mit Tilman Reitz vom Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft ist ausdrücklich als Streitgespräch angekündigt. Dabei sind sich Günther und Reitz in einigen Punkten durchaus einig. So bestätigt Günther, dass sich etwas ändern müsse. Er selbst lernte das Lehrstuhlsystem bei seinem Wirtschaftsingenieurstudium an der Universität Karlsruhe hautnah kennen und die Departmentstruktur während seiner Promotion an der University of California in Berkeley.

Die Strukturfrage ist etwas für Fachleute. Doch es dreht sich auch um die vielen befristeten Verträge an den Hochschulen. Schließlich hat zu dem Streitgespräch das märkische Bündnis »Frist ist Frust« eingeladen - laut Selbstauskunft ein »Zusammenschluss aus Gewerkschaften und Verbänden, um gegen das Befristungsunwesen an brandenburgischen Hochschulen zu kämpfen«.

Viele Nachwuchswissenschaftler schlagen sich zehn oder 20 Jahre lang mit befristeten Stellen durch. Wenn es ihnen dann nicht irgendwann gelingt, eine Professur zu ergattern sind sie raus und bereits in einem Alter, in dem es schwer bis unmöglich ist, noch einmal ganz von vorn anzufangen. Nicht wenige landen schließlich in Jobs, die sie intellektuell unterfordern. Aber sie müssen ja irgendwie Geld verdienen, wenn es mit der Wissenschaft als Beruf nicht geklappt hat.

Aber wie ließe sich das ändern? Pro Jahr werden an deutschen Hochschulen und Forschungsinstituten zusammen 3000 unbefristete Stellen ausgeschrieben, es gebe aber gleichzeitig 25 000 Promotionen, rechnet Oliver Günther vor. Man müsste weniger Promotionen zulassen, denkt er. »Der Flaschenhals ist systemimmanent.«

Mit Drittmitteln finanzierte Stellen zu entfristen, sei »haushaltspolitisch Harakiri«, bedauert der Universitätspräsident. »Denn ich weiß ja nicht, ob ich in Zukunft das Geld habe.« Direkt angesprochen fallen Sonja Staack von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und Stefani Sonntag von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft aus ihrer Rolle als Moderatorinnen des Streitgesprächs. »Man reißt ja kein Labor ab, wenn der Auftrag ausläuft«, sagt Gewerkschafterin Staack. Es wäre also durchaus machbar, mit Drittmitteln bezahlt, unbefristet zu forschen. Sonntag springt ihr mit dem Hinweis bei, es gebe ja einen »Grundstock regelmäßig eingeworbener Drittmittel«.

Aus dem Chat des live im Internet übertragenen Gesprächs kommt die Bemerkung, das Risiko wäre hier für eine Universität nicht größer als bei Fahrzeugherstellern, die auch nicht vorher wüssten, wie viele Autos sie verkaufen. Das sei überhaupt nicht vergleichbar, regt sich hier dann wiederum Günther auf. Die Firmen dürften Mitarbeitern notfalls betriebsbedingt kündigen. »Das können und das wollen wir nicht«, sagt Günther. Nicht einverstanden ist er zudem mit der Einschätzung, die befristeten Stellen nach der Promotion seien »prekär«. Diese Formulierung, so Günther, sei »schwierig« bei einer Bezahlung nach Tarifentgeltgruppe 13 (über 4000 Euro brutto im Monat).

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Tilman Reitz bleibt aber bei dem Wort »prekär«, wenn es um die Perspektive geht, nach langen Jahren in der Wissenschaft vielleicht mit nichts dazustehen. Günther ist dafür, diese Zustände zu verbieten. Wer es nach drei oder vier Jahren nicht geschafft habe, der sollte besser gleich gehen müssen, wenn für ihn noch Zeit sei, außerhalb des Wissenschaftsbetriebs Fuß zu fassen.

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