nd-aktuell.de / 28.05.2021 / Kultur / Seite 11

Alles zu! Und nu?

Plattenbau

Jens Buchholz

Kaminer und die Antikörpers sagen »Hallihallo!« und präsentieren ihren Corona-Lieder-Zyklus »Bleib zu Hause, Mama!« Aber gelesen klingt der Titel irgendwie falsch. Er lautet eher: »Bleib zu Chause, Mama!« Denn Kaminer, das ist Wladimir Kaminer, der bekannte Schriftsteller und Russendisko-DJ.

»Russendisko« war vor knapp zwanzig Jahren ein überwältigender Bestseller. Er enthielt wunderbar tiefenironische autobiografische Geschichten über den 1990 aus Russland nach Berlin (damals noch Hauptstadt der DDR) eingewanderten Kaminer. Ab 1998 veranstaltete er zusammen mit Yuriy Gurzhy die »Russendisko« in Berlin-Mitte. Das war sehr erfolgreich, wie auch die Bücher, die Kaminer nach den Motto »Privat ein Russe, beruflich ein deutscher Schriftsteller« veröffentlichte.

Und jetzt das Album »Bleib zu Hause, Mama!«. Das Cover sieht aus wie eines dieser alten Günther-Fischer/Manfred-Krug-Platten, irgendwie ostpsychedelisch. Die Musik ist aber eine Spielart von sehr trashigem East-Euro-Trash. Diese Band könnte sich auch »Dr. Albanien« nennen, als Hommage an das Eurodance-Genie Dr. Alban. Oft hört sich das Album auch an wie die 17 Hippies, die 13 Hippies durch ein billiges Keyboard ersetzt haben. Was keine schlechte Idee ist. Die Texte lassen jeden Oberstudienrat, der eigentlich Lyriker werden wollte, frösteln. Kaminer und seine Freunde reimen jetzt mal was zur Pandemie. Solche Dinger wie: »Man kann so vieles in der Wohnung machen / Saufen, Tanzen, Lachen.« Oder: »Berliner dürfen in den Zoo / Und die Hessen nur aufs Klo.« Mit anderen Worten: Es ist große Kunst, was Kaminer da während der verschiedenen Lockdowns gemacht hat. Und das ist jetzt ganz im Ernst nur ein bisschen ironisch gemeint.

Dass er unmöglich der musikalische Kopf der Gruppe sein kann, hört man seinen Gesangsperformances an. Die sind nämlich mehr Performance als Gesang. Die Idee zu dem Projekt hatte sein alter Kumpel Yuriy Gurzhy, der seit langer Zeit schon mit der Band Rotfront Musik macht. Ebenfalls dabei von Rotfront ist die großartige Sängerin Katya Tasheva. Und als letztes Bandmitglied kommt die Jazzsängerin Anna Margolina dazu. Die Gesangsperformances der Frauen sind sowohl im Gesang, wie auch bei der Performance großartig. Gurzhy ist offensichtlich der Dr. Alban der Band, zuständig für Komposition und Instrumentierung.

Das Album ist als lyrisches Lockdown-Tagebuch angelegt. Der erste Song wurde gleich im März 2020 eingespielt. Und zwar im Homeoffice. Jedes Bandmitglied hat seinen Part bei sich zu Hause aufgenommen. Die beiden Frauen haben sich außerhalb des Internets erst Monate nach Aufnahmebeginn kennengelernt. »Wir haben uns sehr beeilt, weil wir dachten, bald ist Corona vorbei und wir haben die Platte nicht fertig«, erzählte Kaminer zum Entstehungsprozess in der Talkshow »Talk am Alexanderplatz«. Ein Prophet ist er eher nicht.

Die Songs sind chronologisch geordnet und tragen Titel wie »Verlasse nicht den Raum«, »Alles zu!«, »Quarantechno« oder »Immun«. Entsprechend geht es am Anfang um den Lockdown und am Ende ums Impfen. Man merkt den Aufnahmen den großen Spaß, den die Beteiligten hatten, deutlich an. Und Spaß ist ja eher rar, wenn man derzeit Irgendwas-mit-Kultur macht. Prädikat: Merkwürdig, aber irgendwie auch geil.

Kaminer & Die Antikörpers: »Bleib zu Hause, Mama« (Trikont)