nd-aktuell.de / 29.05.2021 / Kultur / Seite 11

Klagen über die Kälte

Alle reden vom Wetter - wir erst recht. Goethe, Schiller, Hacks und das Elend des deutschen Klimas

Marlon Grohn

Reden wirklich »alle« immer nur vom Wetter oder doch noch viel zu wenige? Dass, wie der SDS in den 60ern behauptete, Marx, Engels und Lenin nicht über’s Wetter geredet hätten, ist jedenfalls anzuzweifeln. Ihre Vor- und Nachfolger - Goethe, Schiller, Hacks (»Der Wetterwechsel ist das Urbild des Glückswechsels«) - taten es zumindest ausgiebig. Sie wussten, Wetter ist mehr als ein bloßes Naturphänomen, das den Menschen und sein Wohlergehen nicht weiter beträfe. »Die Schönheit der Blumen, die Lieblichkeit einer freundschaftlichen Theilnahme erkennt man erst recht bey trübem Wetter«, findet Goethe und meint damit, dass einem Freundlichkeit und Naturschönheiten herzlich egal sein können, solange das Wetter stimmt.

Warum ist es keineswegs nebensächlich, vom Wetter zu reden, zumal unter Schriftstellern? Einmal die Werke der Gelehrten durchblättert, scheint es kaum Existenzielleres zu geben als das richtige Wetter. »Dieses unholde Wetter, das alle Empfindungs-Werkzeuge zuschließt, hat mich in voriger Woche für alles was Leben heißt vernichtet«, zitiert Peter Hacks Schillers Zeilen an Goethe in einem Brief an André Müller sen. »An Arbeit war bei dem Wetter nicht zu denken« (Hans Natonek), hört man jeden zweiten Künstler klagen, wenn es mal wieder den ganzen Tag geregnet hat.

Schöpferische Menschen tun, was sie müssen, weil sie die Welt als eine erfahren, die umgewandelt, verbessert zu werden hat. Indem sie schöpfen, schöpfen sie in Wahrheit aus dem schon Vorhandenen in der Welt. Dazu müssen sie Stimmungen gegenüber empfindsamer sein, weil sie diese in sich aufnehmen, um der Welt Kunst abzugewinnen.So wundert es nicht, dass auch dem Wetter gegenüber weniger Distanz als ratsam an den Tag gelegt wird: Goethe wie Hacks nahmen es sehr persönlich, wenn sich das Wetter Launen erlaubte. Ihre Briefe und Gespräche sind voll der Klagen über die Kälte und überhaupt das schlechte Wetter: »Ich schreibe zurzeit überhaupt nicht. Es geht mir nicht gut. Ich leide am Wetter« (Hacks an Müller sen.); »Leider begünstigt mich das Wetter nicht. Wir sitzen meist zu Hause. An meiner Pandora habe ich etwas gearbeitet...« (Goethe an Christiane).

Dass es sich genau umgekehrt verhält, behauptet Charlotte von Stein in Hacks’ »Gespräch im Hause Stein«: Das Wetter sei bloße Metapher für die persönlichen Stimmungsschwankungen des Künstlers. »Ich bin wohl, habe das schönste Wetter und geht mir alles glücklich ... Alle Wetter sind schön ... Das Wetter fährt fort, über allen Ausdruck schön zu sein«, liest die Stein Goethes Zeilen aus Italien vor und erwägt, dass Goethe nur glaube, seine Stimmung richte sich nach dem Wetter - in Wahrheit aber richte sich das Wetter nach seiner Stimmung.

Stimmung und Wetter sind bei Goethe wie Hacks dasselbe. Dass diesem »Zeit seines Lebens kalt« gewesen ist, hielt Dietmar Dath für so wichtig, dass er 2003 seinen Nachruf auf Hacks damit überschrieb. Zurecht, denn es mag einen Gutteil seines Strebens erklären: Klassiker wird einer, weil er muss - weil ihn nämlich ständig das Wetter stört.

So haben Hacks’ Bauernregeln stets Hand und Fuß: »Der Sommer ist kurz und beweist, dass neuerdings sogar Wetter und Politik auseinanderfallen. Ich mag wieder Chinesen«, schreibt er im Juli 1989 an André Müller sen. Er fand das wohl originell.

Im Februar 1990 weiß er zu berichten: »Ein Hitze-Hoch im Februar ist ein durchaus neues apokalyptisches Phänomen. Ich frage mich, wie Gorbatschow das wieder macht.« Das Wetter also beschäftigt nicht nur die Gemüter, sondern auch die Geister.

Doch wieso dann diese Gleichgültigkeit der politisch Engagierten gegenüber der Wettermisere? Eben weil das Wetter so eigenwillig, so niederträchtig und menschenverachtend, da vom Menschen so unveränderbar scheint, sollten all jene ihre Aufmerksamkeit auf es richten, die an grundlegenden Änderungen interessiert sind. Es gibt kein richtiges Leben im falschen Wetter. Es kommt sehr wohl darauf an, übers Wetter zu sprechen, nur eben auf die richtige Weise: Was dringend Not tut, ist eine Politisierung des Wetters.

Jeder weiß, der Winter ist lebensfeindlich und schlicht indiskutabel. Das wahre Problem in Deutschland aber sind die Sommer. Mit dem Winter findet man sich notgedrungen ab. Die Schweinerei aber sind hierzulande die Sommer: Der letztjährige etwa existierte in Deutschland nur als Gerücht. Der Regen wurde wärmer, das war’s. Der Sommer hier ist die Fortsetzung des Winters mit anderen Mitteln. »Das Wetter ist sichtbar von Jelzin veranlasst« (Hacks im April 1989).

Entgegen der alten Parole des SDS müsste viel mehr übers Wetter geredet werden - gerade von Linken. Bislang scheint es noch zu dauern, bis die Menschheit in ein meteorologisch mündiges Zeitalter eintritt. Zu tun gäbe es da viel: Methoden zur weiträumigen Wetter- und Klimabeeinflussung sollten verfeinert werden, Praktiken wie die »Wolkenimpfung« sollten mit Milliarden erforscht statt als Albernheit abgetan werden - Verschwörungstheorien wie die um HAARP gilt es nicht zu kritisieren, ihr Inhalt ist zu verwirklichen. Die Volksrepublik China hat bereits ein staatliches »Wetteränderungsamt«, das für eindrückliche Ergebnisse sorgte: Schönes Wetter bei den Olympischen Spielen.

Zu hoffen ist auf bessere Technik, die es einmal ermöglicht, den Menschen von der Schmach des Wetters endgültig zu emanzipieren. Denn letztlich geht es den Aufklärern, den Freunden der Sonne, doch um die eine Sache: »Mehr Licht« (Goethe).